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Black Bottom

Black Bottom

Titel: Black Bottom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Keune
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dran waren, wie ich vermute, frage ich mich doch, wieso nicht wenigstens Ihnen aufgegangen ist, was da im Busch ist, wenn Ihr vorurteilsgeblendeter Kollege sich schon blindlings auf das falsche Ziel gestürzt hat.«
    Sándor hatte sich bei den letzten Worten des Vizechefs zurückgelehnt und wieder und wieder zustimmend genickt. Er sah Weiß in die Augen, die in einem verschmitzten, nicht unfreundlich wirkenden Gesicht wie zwei Revolvermündungen auf ihn gerichtet waren.
    Â»Ja, verdammt, ich war genauso blind und blöd wie Belfort; und glauben Sie mir, keinen fuchst das mehr als mich selbst. Jetzt wieder bei null anzufangen, das ist die totale Katastrophe. Wir stehen so schlau da wie ganz am Anfang, aber wir haben unendlich viel Zeit verloren, und alle Spuren sind verwischt. Ich könnte … ich könnte kotzen vor Wut auf uns selbst.«
    Ernst Gennat hatte während der letzten Sätze mit geschlossenen Augen neben ihnen gesessen und womöglich sogar geschlafen. Jetzt öffnete er seine tränensackumwickelten, wasserhellen Augen und sah Sándor mit einem heiterem Buddha-Lächeln ins Gesicht.
    Â»Das ist Unsinn, mein Junge. Wie viele Einwohner hat diese Stadt? Zwo Komma drei Millionen? Immerhin, EINEN davon habt ihr als Tatverdächtigen schon mal ausgeschlossen. Jetzt nicht lockerlassen, immer schön dranbleiben – wenn es in diesem Tempo weitergeht, habt ihr den Fall in achthundert Jahren gelöst!«
    Dann war Sándor draußen auf der Straße, nahm den Asphalt unter die Schuhe oder das kleine Kopfsteinpflaster auf den Gehwegen, um die Standpauke bei frischer Luft und schnellen Schritten verrauchen zu lassen. So hatten die Herren Vorgesetzten ihn schon lange nicht mehr durch die Mangel gedreht. Normalerweise wusste er sich bei einem Angriff zu verteidigen, mit der Faust, mit einer hingerotzten Frechheit – aber diese Wendung der Dinge war zu schnell gekommen. Und – Sándor hasste es, das zugeben zu müssen – die schallende Ohrfeige für ihre lumpige Ermittlungsarbeit hatten sie vollkommen zu Recht bekommen. Während er mit dem ungeliebten Kollegen Armdrücken gespielt hatte, waren sie beide gleichermaßen in die falsche Richtung galoppiert wie zwei Kälber, die beim Spielen auf den Bahnübergang geraten.
    Er stolperte gedankenverloren durch die Nebenstraßen hinter dem Präsidium und stand in der Kleinen Alexanderstraße plötzlich vor dem Karl-Liebknecht-Haus, dem Sitz der Kommunisten; ein fast unscheinbarer Eckbau an einer gut überschaubaren, flach gerundeten Straßenbiegung. Das Gebäude schien in der Nachmittagsstille zu schlafen; Sándor hatte keinen Zweifel daran, dass er längst ins Visier scharfer Augen, vielleicht scharfer Schusswaffen geraten war. Die Partei war auf alles gefasst und würde sich im Zweifelsfall zu verteidigen wissen; ganz sicher warteten hinter der doppelflügeligen Eingangstür im gekachelten Treppenhaus ein paar Männer des eigenen Sicherheitsdienstes, um Alarm zu schlagen und zu handeln, wenn es nötig wäre.
    Doch von Sándor ging keine Gefahr aus, er schlenderte weiter und dachte über Bernhard Weiß’ Vortrag über die polizeiliche Neutralität nach. War er selbst das, neutral? Wahrscheinlich. Wenn einer der Unterweltbosse in den Ku’damm-Seitenstraßen eine Party schmiss, war er dabei, und wenn einer dieser Kerle seine Zigarre mit einem Hundert-Reichsmark-Schein anzündete, wedelte er, Sándor, unter dem Gelächter der Anwesenden die Flamme aus und steckte den Schein – »Beweissicherung!« – in die eigene Tasche. Nur kaufen konnten sie ihn nicht dafür; solche kleinen Aufmerksamkeiten erwarben nicht seine Ergebenheit, sondern seine Lässigkeit. Sie waren nur ein Vorschlag, den er ebenso gut verwerfen konnte, der ihn zu keiner Sichtweise verpflichtete. Belfort dagegen schien von einer festen Überzeugung getrieben zu sein; der wusste schon im Vorfeld, wer die Guten waren und wer die – zweifellos jüdischen – Bösen. Bei ihm selbst dagegen war nach dem Beginn einer Party jeder Ausgang vorstellbar. In jeder Sekunde seines Lebens konnte er ohne Pardon und ganz neutral den großzügigsten Spender in den Kahn bringen; einen Krösus wie Jenitzky – oder die kleine Bella.
    Da war sie wieder in seinem Kopf, Bella. Das Mädchen spielte eine erstaunliche Rolle in diesem Spiel, schmiedete Pläne, zog Fäden. Sie

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