Black Box BER: Vom Flughafen Berlin Brandenburg und anderen Großbaustellen. Wie Deutschland seine Zukunft verbaut (German Edition)
währenden praktischen Tätigkeit als freischaffender Architekt ist mir beim Flughafen BER zum ersten Mal begegnet. In direkter Beauftragung seitens der Flughafengesellschaft an das vom deutschen Brandschutzpapst Prof. Dr. Dietmar Hosser geführte Büro hhp-berlin wurde eine computergesteuerte komplexe Entrauchungsanlage für ein über mehrere 100
000 Quadratmeter großes Terminalgebäude konzipiert, deren Verständnis, Nachvollziehbarkeit und Beherrschung sich mehr oder weniger fast jedem normal gebildeten Ingenieur versagt und deswegen auf ein spezialisiertes Fachwissen beschränkt ist. Mit der weiterführenden Planung der Brandschutzanlage wurde innerhalb unserer Planungsgemeinschaft das Ingenieurbüro IGK-IGR Berlin beauftragt. Nach kurzer Bearbeitungszeit musste dieses Büro jedoch Insolvenz anmelden, sodass die Fachleute für diese Disziplin nicht mehr zur Verfügung standen. Vielmehr sollte nun eine Kooperation zwischen den Firmen Bosch und Siemens für die endgültige Fertigstellung sorgen. Es wäre auch unsinnig gewesen, von einem Architekturbüro zu erwarten, es verfüge über die Kompetenz, eine derart einmalige und komplexe computergesteuerte Anlage zu bauen. Das entspricht der abwegigenErwartung, man könne ein Ärzteteam dazu veranlassen, ein Atomkraftwerk zu errichten. Bezüglich der technischen und fachlichen Zuständigkeit entwickelte sich ein chaotisches Durcheinander von bauausführenden Firmen, Ingenieuren, Architekten und letztlich der Bauherrschaft selbst.
Die Entscheidung, den Gesamtauftrag »Entrauchungsanlage« zu splitten und je zur Hälfte an Bosch und Siemens zu vergeben, war nicht unproblematisch, denn deren Produkte sind genauso wenig baugleich wie beispielsweise ein Mercedes und ein BMW. Es sollte gleichwohl eine einheitliche Gesamtanlage gebaut werden. Es erwies sich als vorhersehbarer Konflikt, dass – bildlich gesprochen – die linke Hälfte eines Mercedes nicht mit der rechten Hälfte eines BMW kompatibel war.
Expertenmeinungen haben nicht selten die Eigenschaft, einander zu widersprechen, trotz gleichwertiger Plausibilität. Ein Beispiel hierfür ist das in einem Kurzgutachten der Dekra unter Berufung auf die Energieeinsparungsverordnung bemängelte Fehlen der Ummantelungen der im Wartebereich des Hauptstadtflughafens in der Decke verlaufenden Kühlrohre. Das ist eine wörtliche Auslegung der Vorschriften: Keine Energie darf verloren gehen. Die Experten der Baufirma YIT hingegen hatten eine technische Auslegung vorgeschlagen, nämlich die Kühlrohre nicht zu isolieren, um sie für die Kühlung zu nutzen. Im Einvernehmen mit der Flughafengesellschaft und der Planungsgemeinschaftwurde dementsprechend gehandelt. Beide Meinungen sind begründet, aber sie neutralisieren einander, ein klassischer Beleg für die Agonie der Expertokratie.
Seit den 1980er-Jahren sind auch andere, damals in den Anfängen steckende Entwicklungen inzwischen vorangetrieben worden. Das Dickicht der Bauverordnungen hat sich in einen Dschungel verwandelt; für den Bau eines Einfamilienhauses sind bis zu 24
000 Vorschriften zu beachten; die EU-Regelungswut hat wahrlich nicht mäßigend gewirkt, im Gegenteil. Hinzu gekommen sind Sicherheits- und Energieeinsparverordnungen. Gebaut wird mittlerweile mit einem zum Teil gigantischen technologischen Aufwand. Vor diesem Hintergrund wird deutlich: Architekten sind heute, möglicherweise abweichend von ihrem Selbstbild, alles andere als titanische Einzelkämpfer. Sie sind angewiesen auf die Spezialkenntnisse aller am Bauprozess beteiligten Institutionen und Personen. Sie sind angewiesen auf das Gespräch, den Austausch von Wissen, auf das dialogische Verfahren, wie gmp es seit Jahrzehnten praktiziert.
Erbsenzählen auf dem Hauptstadt-Airport
Für jede Baustelle gilt das aus dem Tischlerhandwerk stammende Sprichwort: »Wo gehobelt wird, fallen Späne.« Gemeint ist damit, wo gearbeitet wird, werden Fehler und Mängel produziert. In diesem Bewusstsein sieht die Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) eine eigenständige Leistung »Mängelbeseitigung« vor. Zur Schlussphase jedes Bauvorhabens gehört es, alle entstandenen Mängel in einer Liste zu erfassen und diese von den beauftragten Firmen auf deren Kosten beseitigen zu lassen. Da nahezu jeder Kratzer und jede lockere Schraube erfasst wird, sind die Listen zumeist lang. In den Berliner Parlamentsbauten »Dorotheenblöcke« (Jakob-Kaiser-Haus) zum Beispiel waren allein für den
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