Black Box: Thriller (German Edition)
langsam Zeit. Jedes Mal wenn ich den Pisser hier vorbeifahren sehe, rufe ich bei euch an, aber kein Schwein kommt vorbei, kein Schwein rührt einen Finger. Und jetzt, wo ich diesen lächerlichen Wicht schon zwei Monate nicht mehr gesehen habe, kommen Sie auf einmal angeschissen.«
»Haben Sie vielleicht etwas über ihn gehört, Latitia? Hat Ihnen jemand erzählt, dass er ihn irgendwo gesehen hat?«
Sie schüttelte mit Nachdruck den Kopf.
»Er ist einfach verschwunden.«
»Was ist mit seiner Mutter und seiner Großmutter? Sie haben mal hier gewohnt.«
»Seine Großmutter ist tot, und seine Mom lebt schon lange in Lancaster. Sie ist ausgezogen.«
»Fährt Charles manchmal zu ihr?«
»Keine Ahnung. Früher hat er sie ab und zu besucht, zum Geburtstag und so. Ich weiß nicht mal, ob er überhaupt noch lebt. Ich weiß nur, dass mein Sohn schon ewig nicht mehr beim Arzt oder Zahnarzt war und sein Leben lang noch nie neue Klamotten gekriegt hat.«
Bosch nickte.
Und einen Vater hat er auch nicht,
dachte er. Er erzählte ihr lieber nicht, dass sie Charles Washburn nicht zu finden versuchten, damit er ihr Unterhalt zahlte.
»Dürften wir kurz reinkommen, Latitia?«
»Wozu?«
»Um uns ein bisschen umzusehen. Wir wollen uns nur vergewissern, dass Sie hier in Sicherheit sind.«
Sie schlug gegen das Gitter.
»Wir sind hier sicher, keine Sorge.«
»Wir können also nicht reinkommen?«
»Nein. Ich will nicht, dass jemand den Saustall hier drinnen sieht. Im Haus ist gerade nicht aufgeräumt.«
»Na schön, und im Garten? Dürften wir vielleicht nach hinten gehen?«
Sie schien verwundert über die Frage, doch dann zuckte sie mit den Achseln.
»Sie werden’s nicht glauben, aber dort ist er auch nicht.«
»Ist die Gartentür auf der Rückseite offen?«
»Sie ist kaputt.«
»Okay, dann gehen wir mal nach hinten.«
Bosch und Chu kehrten der Tür den Rücken und gingen zu der Durchfahrt, die an der Seite des Hauses entlangführte und an einem Holzzaun endete. Chu musste die Tür an einem verrosteten Griff hochheben, um sie zu öffnen. Dahinter war ein Garten, in dem alte, kaputte Spielsachen und Haushaltsgeräte herumlagen. Eine auf die Seite gekippte Geschirrspülmaschine erinnerte Bosch an die ausgemusterten Haushaltsgeräte, die sich vor zwanzig Jahren in der Durchfahrt gestapelt hatten.
Die linke Seite des Grundstücks grenzte an die Rückwand des ehemaligen Felgen-Shops im Crenshaw Boulevard. Bosch ging zur hinteren Seite des Zauns, der den Garten von der Durchfahrt trennte. Weil er zu hoch war, um darüberschauen zu können, zog Bosch sich ein Dreirad mit einem fehlenden Hinterrad heran.
»Vorsicht, Harry«, warnte Chu.
Bosch stellte einen Fuß auf den Sitz des Dreirads und zog sich am Zaun hoch. Er schaute zu der Stelle der Durchfahrt, wo Anneke Jespersen vor zwanzig Jahren ermordet worden war.
Bosch sprang zu Boden und begann am Zaun entlangzugehen und mit der Hand gegen jede Latte zu drücken, um zu testen, ob eine locker war oder ob es vielleicht sogar eine Geheimtür gab, durch die man schnell in die Durchfahrt gelangen konnte. Etwa nach zwei Dritteln der Strecke gab eine Latte nach. Bosch blieb stehen und sah sie sich genauer an. Dann zog er die Latte zu sich heran. Sie war weder an der oberen noch an der unteren Querstrebe befestigt und ließ sich mühelos entfernen. Dadurch entstand im Zaun eine fünfundzwanzig Zentimeter breite Lücke.
Chu kam zu ihm und besah sich die Öffnung.
»Jemand, der nicht besonders groß ist, könnte sich hier problemlos durchzwängen, um in die Durchfahrt zu gelangen.«
»Ganz genau«, sagte Bosch.
Es gab überhaupt keinen Zweifel. Die Frage war nur, ob sich die Latte erst im Lauf der Zeit gelöst hatte oder ob sie schon als Geheimtür gedient hatte, als Charles » 2 -Small« Washburn als sechzehnjähriger Baby-G hier gewohnt und auf seine Chance gewartet hatte, ein richtiger G zu werden.
Bosch bat Chu, mit seinem Handy ein Foto von der Öffnung zu machen, damit er es später ausdrucken und in das Mordbuch einheften konnte. Dann setzte er die Latte wieder ein und drehte sich einmal um sich selbst, um noch einmal den Garten abzusuchen. Er sah, dass Latitia Settles im offenen Hintereingang des Hauses stand und ihn durch ein weiteres Eisengitter beobachtete. Ihm war klar, dass sie langsam merken musste, dass sie nicht nach Charles suchten, weil er den Unterhalt für seinen Sohn nicht zahlte.
6
A ls Bosch nach Hause kam, stand ein Geburtstagskuchen auf dem Tisch, und
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