Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Black Box

Black Box

Titel: Black Box Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
Vom Netzwerk:
von Carrie Mayfield anstarrte, ohne es wirklich zu sehen. Sie schluckte vernehmlich und hielt sich mit der Hand am Hals.
    »Liebling?«, sagte ihr Mann. Er eilte sichtlich verstört zu ihr hinüber. »Du möchtest schon gehen? Wir sind doch gerade erst gekommen.«
    »Das ist mir egal«, sagte sie. »Ich will hier weg.«
    »Ach, Mom«, maulte der Junge.
    »Ich hoffe, Sie tragen sich in mein Gästebuch ein«, sagte Alinger.
    Er begleitete sie zur Garderobe.
    Der Vater fasste seine Frau am Ellbogen und betrachtete sie mit feuchten, sorgenvollen Augen. »Könntest du nicht für einen Moment im Auto warten? Tom und ich würden uns gern noch etwas umsehen.«
    »Ich möchte, dass wir sofort gehen«, sagte sie mit tonloser Stimme, »und zwar alle.«
    Der Vater half ihr in den Mantel. Der Junge schob die Fäuste in die Hosentasche und trat missmutig nach einer alten Arzttasche, die neben dem Regenschirmständer stand. Dann begriff er, nach was er da eben getreten hatte. Er kniete sich hin und öffnete ohne das geringste Anzeichen von Anstand den Verschluss, um sich den Aspirator anzuschauen.
    Die Frau zog ihre Ziegenlederhandschuhe an und glättete sie sorgfältig, bis sie straff saßen. Sie schien tief in Gedanken versunken zu sein, weshalb es umso überraschender kam, als sie sich plötzlich auf ihren Absätzen umdrehte und Alinger fixierte.
    »Sie sind widerlich«, sagte sie. »Wie ein Leichenfledderer.«
    Alinger faltete die Hände und musterte sie mitfühlend. Er zeigte seine Sammlung seit Jahren und wurde nicht zum ersten Mal mit einer solchen Reaktion konfrontiert.
    »Ach, Liebling«, sagte ihr Mann. »Sei doch nicht so verbissen.«
    »Ich geh jetzt zum Auto«, sagte sie, senkte den Kopf und zog sich wieder in sich selbst zurück. »Beeilt euch.«
    »Warte«, sagte der Vater. »Warte auf uns.«
    Er hatte seinen Mantel noch nicht angezogen, und sein Sohn seinen auch nicht. Der Junge kniete vor der offenen Tasche und strich mit den Fingerspitzen langsam über den Aspirator – ein Gerät mit Gummischläuchen und einer Plastikgesichtsmaske, das wie eine Thermoskanne aus Chrom aussah.
    Die Frau hatte das, was ihr Mann gesagt hatte, nicht mehr mitbekommen. Sie hatte sich umgewandt und war hinausgegangen. Sie ließ die Tür hinter sich offen stehen. Die Augen auf den Boden gerichtet, eilte sie die steile Granittreppe zum Gehweg hinunter. Schwankend wie eine Schlafwandlerin, lief sie auf die Straße. Ohne aufzublicken, hastete sie auf ihren Wagen zu, der auf der anderen Straßenseite stand.
    Alinger wollte gerade das Gästebuch holen – vielleicht würde ja der Mann noch etwas hineinschreiben –, da hörte er das Kreischen von Bremsen und ein metallisches Knirschen, als wäre ein Auto gegen einen Baum gefahren. Noch bevor er sich umwandte, wusste er jedoch, dass es sich nicht um einen Baum handelte.
    Der Vater stieß einen Schrei aus und dann noch einen. Alinger drehte sich gerade noch rechtzeitig um, um ihn die Treppe hinunterstürzen zu sehen. Ein schwarzer Cadillac stand in einem merkwürdig schiefen Winkel auf der Straße, und von den Rändern seiner zerknautschten Motorhaube stieg Rauch auf. Die Tür war offen, und der Fahrer stand auf der Straße, den flachen Hut in den Nacken geschoben.
    Obwohl Alinger noch die Ohren dröhnten, hörte er den Fahrer sagen: »Sie hat nicht mal geschaut. Ist einfach auf die Straße gelaufen. Herr im Himmel. Was hätte ich denn machen sollen?«
    Der Vater schenkte ihm keine Beachtung. Er kniete auf der Straße und hielt seine Frau umklammert. Der Junge stand vor der Garderobe, die Jacke halb angezogen, und starrte hinaus. Auf seiner Stirn pulsierte eine angeschwollene Ader.
    »Doktor«, schrie der Vater. »Bitte! Doktor!« Er sah flehentlich zu Alinger zurück.
    Alinger hielt inne, um sich seinen Mantel vom Haken zu nehmen. Es war März und windig, und er wollte sich keine Erkältung holen. Man wurde nicht achtzig, wenn man leichtsinnig war und die Dinge überstürzte. Als er an dem Jungen vorbeilief, tätschelte er ihm den Kopf. Er war noch nicht halb die Treppe hinunter, als der Junge ihn ansprach.
    »Doktor«, stammelte er.
    Alinger sah zu ihm hinauf. Der Junge hielt ihm immer noch die offene Tasche hin.
    »Ihre Tasche«, sagte er. »Vielleicht brauchen Sie etwas daraus.«
    Alinger lächelte sanft, ging die Treppe wieder hinauf und nahm die Tasche aus den kalten Fingern des Jungen entgegen.
    »Besten Dank«, sagte er. »Das ist gut möglich.«

Totholz
    Es heißt, dass sogar Bäume

Weitere Kostenlose Bücher