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Black Box

Black Box

Titel: Black Box Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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sie ebenso zurückgelassen wie die Decke. Er wollte über Gages Leichnam ein Gebet sprechen, aber das Einzige, woran er sich aus der Bibel erinnern konnte, war der Satz: Maria behielt all diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen. Und da ging es um Jesu Geburt, was nicht zu einem Toten passte.
    Obwohl es im Schatten der Kiefern immer noch kühl war, als Killian aufstand, würde es ein warmer Tag werden. Er folgte den Gleisen, bis sein Fuß so schmerzte, dass er nicht mehr weiterkonnte und sich auf die Böschung setzen musste. Der Knöchel war jetzt stark angeschwollen, und wenn er ihn belastete, spürte er einen Stich bis in die Knochen. Bisher hatte er sich beim Springen immer auf Gages Erfahrung verlassen. Er hatte sich in jeder Hinsicht auf Gages Erfahrung verlassen.
    Durch die Bäume konnte er ein weißes Haus sehen, und irgendjemand hatte von einer Kiefer ein paar Äste abgebrochen, ein X in die Rinde geritzt und Kohle in das X gerieben, damit es deutlich sichtbar blieb. Es gab unter Hobos keine geheimen Zeichen, wie manche behaupteten, und falls doch, so kannte sie Killian nicht, auch Gage hatte nichts darüber gewusst. Ein solches X bedeutete allerdings, dass man hier etwas zu essen bekommen konnte, und Killian war sich nur allzu bewusst, wie leer sein Magen war.
    Vorsichtig bahnte er sich einen Weg durch die Bäume und blieb am Waldrand stehen. Die Farbe blätterte von den Mauern des Hauses, die Fenster waren schmutzig. Nahe der hinteren Hauswand lag ein Beet, ein schmales Rechteck, ungefähr so groß wie ein Grab. Nichts wuchs darauf.
    Killian stand da und betrachtete das Haus, als er plötzlich die beiden Mädchen bemerkte. Sie waren so still und regungslos, dass er sie nicht gleich gesehen hatte. In ihren Sonntagskleidern knieten sie im Farn und wandten ihm den Rücken zu. Beide hatten sie langes, weißblondes Haar, sauber und ordentlich mit messingfarbenen Kämmen hochgesteckt.
    Er beobachtete sie für eine Weile, als eines der Mädchen unvermittelt den Kopf drehte und ihn ansah. Ihr Gesicht war herzförmig, mit eisblauen Augen. Sie betrachtete ihn ausdruckslos. Kurz darauf wandte sich auch das andere Mädchen um und musterte ihn mit dem Hauch eines Lächelns im Gesicht. Sie war vielleicht sieben Jahre alt, ihre Schwester vielleicht zehn. Killian hob grüßend die Hand. Das ältere Mädchen sah ihn noch einen Moment lang an, dann drehte sie sich wieder weg. Er konnte nicht erkennen, wovor sie da kniete, doch was immer es auch war, es zog sie völlig in den Bann. Auch das jüngere Mädchen winkte nicht zurück, doch sie schien ihm zuzunicken, bevor sie sich ebenfalls wieder dem zuwandte, was vor ihnen auf dem Boden lag. Ihr Schweigen, ihre Regungslosigkeit beunruhigten ihn.
    Er ging zur hinteren Tür hinüber, deren ausgebeultes Fliegengitter voller Flecken war und teilweise vom Rahmen abstand. Er nahm den Hut ab und wollte gerade die Stufen hinaufgehen, um zu klopfen, als hinter dem Fliegengitter eine Frau auftauchte. Killian blieb stehen, den Hut in der Hand, und setzte sein Bettlergesicht auf.
    Die Frau hätte dreißig, vierzig oder auch fünfzig Jahre alt sein können. Ihr Gesicht machte den Eindruck, als wäre es in sich zusammengefallen, die Lippen waren dünn und farblos. Am Bund ihrer Schürze hing ein Spüllappen.
    »Guten Tag, Ma’am«, sagte er. »Ich bin sehr hungrig. Wäre es möglich, dass Sie mir etwas zu essen geben? Einen Bissen Brot vielleicht?«
    »Sie haben noch nicht gefrühstückt?«
    »Nein, Ma’am.«
    »Im Blessed Heart gibt es ein kostenloses Frühstück. Wussten Sie das nicht?«
    »Nein. Ich weiß nicht einmal, wo das ist, Ma’am.«
    Sie nickte knapp. »Ich mache Ihnen einen Toast. Sie können auch ein paar Eier dazu haben. Wollen Sie das?«
    »Ich denk mal, wenn Sie welche machen, werd ich sie schon runterkriegen.«
    Das hatte Gage immer gesagt, wenn ihm mehr angeboten wurde, als er erbeten hatte, und die Frauen hatten dann immer gelacht. Doch diese Frau hier lachte nicht, vermutlich weil er nicht Gage war und weil es irgendwie anders klang, wenn er es sagte. Stattdessen nickte sie wieder und sagte: »Also gut. Streifen Sie sich die Füße …« Sie hielt einen Moment inne, betrachtete seine Schuhe. »Nein, am besten, Sie ziehen Ihre Schuhe ganz aus und lassen sie neben der Tür stehen.«
    »Ja, Ma’am.« Killian warf noch einen Blick zu den Mädchen hinüber – sie wandten ihm weiter den Rücken zu, schenkten ihm keine Beachtung. Dann zog er die Schuhe aus, betrat den

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