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Black Box

Black Box

Titel: Black Box Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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Abend der Wiedereröffnung ist das Kino so voll wie zuletzt bei Titanic. Der Lokalsender berichtet live, filmt die Gäste, die in ihren besten Abendkleidern kommen. Darunter natürlich Steven, deshalb die ganze Aufregung – doch Alec glaubt, dass auch ohne den berühmten Regisseur ausverkauft gewesen wäre, dass die Leute allein schon deshalb gekommen wären, um das renovierte Kino zu begutachten. Alec und Steven lassen sich fotografieren, wie sie im Smoking unter dem Vordach stehen und sich die Hand geben. Stevens Smoking ist von Armani – er hat ihn eigens für diesen Anlass gekauft. Alec hat in seinem geheiratet.
    Steven lehnt sich zu ihm hinüber, drückt ihm die Schulter gegen die Brust. Und? Was machst du jetzt, mein Freund?
    An einem normalen Abend wäre Alec hinter dem Tresen gestanden und hätte Eintrittskarten verkauft, und dann wäre er hinaufgegangen, um den Projektor in Gang zu setzen. Nun, ich werde mich wohl reinsetzen und den Film ansehen, sagt er.
    Halt mir einen Platz frei. Wahrscheinlich komme ich erst, wenn Die Vögel beginnt. Ich muss mich noch ein wenig um die Journalisten kümmern.
    Lois Weisel hat unterhalb der Leinwand eine Kamera aufgestellt. Sie ist auf das Publikum gerichtet und zeichnet mit Hochgeschwindigkeitsfilm auf, wie es zu unterschiedlichen Zeitpunkten auf Der Zauberer von Oz reagiert. Das soll die letzte Szene in ihrem Dokumentarfilm werden – ein liebevoll restauriertes altes Filmtheater, in dem sich die Zuschauer voller Begeisterung einen Klassiker des 20. Jahrhunderts ansehen. Doch ihr Film wird nicht so enden, wie sie es sich vorgestellt hat.
    Zu Beginn der Aufnahmen sieht man Alec hinten links sitzen, das Gesicht der Leinwand zugewandt. In der Dunkelheit schimmern seine Brillengläser blau. Der Platz rechts neben ihm ist leer, der einzig leere Platz im ganzen Zuschauerraum. Manchmal sieht man ihn Popcorn essen, dann wieder sitzt er einfach nur da, den Mund leicht geöffnet, mit einem fast ehrfürchtigen Gesichtsausdruck.
    In einer späteren Aufnahme hat er sich zur Seite gedreht, nach rechts. Eine blau gekleidete Frau sitzt nun neben ihm, und er beugt sich über sie. Kein Zweifel – sie küssen sich. Niemand um sie herum schenkt ihnen die geringste Beachtung. Der Zauberer von Oz geht zu Ende. Wir wissen das, weil wir hören können, wie Judy Garland mit leiser, sehnsüchtiger Stimme immer wieder dieselben fünf Worte sagt. Sie sagt … nun, ihr wisst, was sie sagt. Es sind die schönsten fünf Worte, die jemals in einem Film gesprochen wurden.
    Kurz darauf ist das Licht im Saal an, und um Alec, der in seinem Sessel zusammengesunken ist, hat sich eine Menschenmenge gebildet. Steven Greenberg steht im Mittelgang und ruft aufgeregt nach einem Arzt. Ein Kind weint. Stimmengewirr überall. Doch diese Szene ist nicht von Bedeutung – die Aufnahme direkt davor ist viel interessanter.
    Es dauert nur wenige Sekunden, ein paar hundert Einzelbilder auf dem Film, mehr nicht. Doch die Aufnahme wird Lois Weisel berühmt machen und ihr jede Menge Geld einbringen. Sie wird in Fernsehsendungen über unerklärte Phänomene gezeigt werden, wird auf Zusammenkünften von Menschen, die vom Paranormalen fasziniert sind, immer wieder begeistert betrachtet werden. Sie wird unter die Lupe genommen, verworfen, gefeiert werden. Sehen wir sie uns noch einmal an:
    Alec beugt sich über die junge unbekannte Frau. Sie wendet ihm das Gesicht zu und schließt die Augen, gibt sich ihm völlig hin. Er hat seine Brille abgenommen. Sanft legt er ihr die Hand auf die Taille. Wir alle träumen davon, so geküsst zu werden, so wie im Film. Wenn man den beiden zusieht, wünscht man sich, dieser Augenblick würde nie vorübergehen. Und während alldem erfüllt Dorothys dünne, tapfere Stimme den dunklen Vorführraum des Rosebud. Sie sagt etwas von einem Zuhause. Sie sagt etwas, das jeder weiß.

Pop Art
    Als ich zwölf war, war mein bester Freund aufblasbar. Er hieß Arthur Roth, was ihn zu einem aufblasbaren Hebräer machte; allerdings kann ich mich nicht daran erinnern, dass er bei unseren Unterhaltungen über das Leben nach dem Tod jemals einen speziell jüdischen Standpunkt vertreten hätte. Reden war das, was wir meistens taten – rüde Jungenspiele kamen angesichts seiner Beschaffenheit nicht infrage –, und das Thema Tod und was wohl danach käme, tauchte mehr als einmal auf. Als ich ihn kennenlernte, war er schon ein dutzend Mal beinahe getötet worden, einmal für jedes Jahr seines Lebens. Das Leben

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