Black CATS - Parrish, L: Black CATS
kannte das. Manchmal war das Verlangen, schlechte Nachrichten noch ein Weilchen aufzuschieben, größer als der Wunsch, die Wahrheit zu erfahren. Offensichtlich hatte Sam beschlossen, das Unvermeidliche noch ein wenig hinauszuzögern, denn sie wandte den Blick ab. Alec fügte in Gedanken ein weiteres Puzzleteil hinzu: Sie kannte den Schmerz des Verlustes.
Sam tippte mit dem Zeigefinger auf das oberste Papier. »Diese Nachricht war seine letzte. Vor ungefähr anderthalb Wochen .«
Alec hatte sich den Text der letzten E-Mail, die das Opfer an Sam the Spaminator geschrieben hatte, gut eingeprägt. »Er hat Sie wegen eines Angebots angesprochen, das einer seiner Freunde per E-Mail bekommen hatte, richtig ?«
»Ein typischer Vorschussbetrug, der sogenannte Nigerianische Brief. In meine Antwort habe ich Links zu Tausenden von Artikeln zu dem Thema eingefügt. Ein paar davon habe ich selbst geschrieben .«
Solche Mails waren schon zu Dutzenden in seinem eigenen Posteingang gelandet, daher wusste er genau, wovon sie sprach. Trotzdem ließ er sie es erklären.
»Es ist erstaunlich, wie viele Leute immer noch auf diesen Trick reinfallen. Der Schaden beläuft sich auf mehrere Hundert Millionen Dollar – nur weil blauäugige Menschen glauben, sie könnten reich werden, indem sie ein klein bisschen Kohle für Schmiergelder, Steuern, Prozesskosten oder eine Bürgschaft hinblättern. Bis das ganze Geld schließlich weg ist – und der ›Finanzminister‹, ›Bankdirektor‹ oder ›Vermögensverwalter‹ auch .«
Ihr anfangs unbefangener Tonfall hatte sich verschärft, klang beinahe verbittert. Die angespannte Körperhaltung verriet noch einiges mehr über sie – vielleicht war ihr Kampf gegen Betrugsversuche im Internet nicht einfach nur ein Beruf, sondern vielmehr ein ganz privater Rachefeldzug. Das Thema ging ihr offensichtlich sehr nahe, ihr schien jegliche professionelle Distanz zu fehlen.
Alec ahnte, dass sie den Mord an Ryan Smith nicht gut verkraften würde.
»Hat er Ihnen die E-Mail weitergeleitet, um die es ging ?«
Sie schüttelte den Kopf und strich sich ein paar lange, seidige Strähnen hinters Ohr, die sich aus ihrem Pferdeschwanz gelöst hatten. »Nein. Er hat mir lediglich davon erzählt, und ich habe ihm geantwortet .« Eine kleine Falte tauchte zwischen ihren Augenbrauen auf, als sie hinzufügte: »Oh, da fällt mir noch ein: Er hatte auch eine Frage zu gedeckten Schecks. Ob sie jemals Teil dieser Betrugsstrategie gewesen seien .«
Alec beugte sich vor und blätterte rasch durch die E-Mail-Ausdrucke. »Wo denn ?«
Nachdenklich runzelte sie die Stirn und antwortete: »Das war … warten Sie, ich glaube, das war im Chat .«
Das überraschte ihn. »Fremde Leute können Ihnen eine Sofortnachricht schicken ?«
»Er ist ein kluger Junge, sehr begabt. Als er meinen Benutzernamen herausgefunden hatte, war ich so beeindruckt, dass ich ab und zu mit ihm gechattet habe .«
Das Ermittlungsteam war bereits an Ryan Smiths Computer dran. Sie würden das Gesprächsprotokoll finden, aber es ging schneller, wenn Alec die Quelle direkt anzapfte. »Können Sie mir erzählen, woran Sie sich noch erinnern ?«
Als sie die Augen schloss, um sich zu konzentrieren, konnte Alec nicht umhin, ihre langen, geschwungenen Wimpern zu betrachten. Er verlagerte das Gewicht auf dem Stuhl. Die Anziehungskraft, die sie auf ihn ausübte, wurde ihm unbehaglich. Sam war eine potenzielle Zeugin! Er brach nicht einfach nur ein Tabu – in seinem Fall konnte das seine ganze Karriere zerstören.
Anziehungskraft war in Atlanta allerdings nicht das Problem gewesen. Dort hatten Mitgefühl und unangebrachtes Vertrauen zu seinem Untergang geführt. Aber die Moral von der Geschichte war dieselbe: Lass dich niemals auf Zeugen ein! Weder emotional noch körperlich.
»Als ich auf seine E-Mail geantwortet habe, war es … « – sie warf einen Blick auf den Ausdruck und überprüfte die Zeitangabe – »ungefähr fünf Uhr. Ich habe ihm gesagt, dass er es auf jeden Fall mit einem Hochstapler zu tun hat. Ich war völlig entsetzt, dass er noch nie davon gehört hatte .« Sie kaute auf ihrer Unterlippe herum. »Außerdem habe ich ihm geschrieben, dass er wohl kein großer Fan von mir sein könne, wenn er das ganze Kapitel in meinem Buch übersehen habe, das ich genau dieser Betrugsstrategie widmete. Dann habe ich ihm vorgeschlagen, all die Artikel auszudrucken, zu denen ich ihm die Links geschickt hatte, sie zusammenzurollen und seinem Freund damit
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