Black CATS - Parrish, L: Black CATS
weiterführen?«
Und seine Mutter dazu bringen, ihm wieder in die Augen zu schauen?
Der kalte, gefühllose Ausdruck schwand aus dem Blick der Anwältin, und ihre Stimme wurde ein wenig weicher. »Nein. Sie werden nicht freigesprochen. Wir wollen lediglich eine richterliche Entscheidung erreichen, dass Ihre ursprüngliche Verurteilung Fehler aufweist, weil die Beweise nicht einwandfrei waren. Dann sollte das Urteil gekippt werden, aber das ist nicht dasselbe wie ein Freispruch.«
Nicht optimal, aber wenn er dadurch aus diesem Drecksloch herauskam, konnte er damit leben. Und wenn er vor Mas Haustüraufkreuzte und ihr erzählte, dass sie ihn hatten gehen lassen, weil er unschuldig war, würde sie ihm das doch glauben,oder? Wenn nicht, würde er dafür sorgen, dass sie ihm glaubte.
»Und dann ist alles vorbei? Keine Doppelbestrafung?«
Wieder schüttelte sie den Kopf. Teufel auch, am liebsten hätte er die Frau geohrfeigt, damit sie endlich mit der Sprache herausrückte, statt sich alles häppchenweise aus der Nase ziehen zu lassen. »Wenn das Berufungsgericht entscheidet, dass Ihr erster Prozess Mängel aufweist und das Urteil aufgehoben wird, hat die Staatsanwaltschaft immer noch die Möglichkeit, den Fall neu aufzurollen und Sie mit denselben Anklagepunkten wieder vor Gericht zu stellen.«
Er schloss die Augen. Das durfte doch nicht wahr sein. »Noch ein Prozess.«
Eine kühle Hand strich über seine. Die Frau hatte tatsächlich den Arm ausgestreckt, um ihn zu trösten. »Jesse, es ist absolut unwahrscheinlich, dass der Staatsanwalt den Fall wiederaufnimmt. Er weiß, dass er ihn nicht gewinnen kann. Wenn Sie ein neues Alibi haben und die Gegenseite keine DNA -Spuren mehr vorbringen kann … «
»Was ist mit der Augenzeugin?«, fragte er und fasste beinahe wieder Hoffnung.
»Die Tante des Kindes?«
Er nickte knapp und rief sich das Bild der blonden Schlampe vor Augen, die mit jedem Wort, das ihr im Zeugenstand über die Lippen gekommen war, einen weiteren Nagel in seinen Sargdeckel getrieben hatte.
»Natürlich kann ihre damalige Aussage zugelassen werden, aber weil ihr Vorgesetzter in diese Angelegenheit mit dem Kriminallabor verwickelt ist, könnte ich das verhindern. Schließlich kann sie nicht ins Kreuzverhör genommen werden.«
»Warum nicht?«
Die unerschütterliche Anwältin schenkte ihm einen überraschten Blick. »Haben Sie denn noch nichts davon gehört?«
»Wovon?«
»Tja, Mr Boyd – die Hauptzeugin der Staatsanwaltschaft, Lily Fletcher, ist vor sieben Monaten gestorben.«
Sie träumte.
Keine süßen, angenehmen Träume. Keine unterhaltsamen Abenteuer, die sie im Schlaf genießen konnte. Wyatts Anwesenheit am anderen Ende des Flurs konnte sie nicht vor dem bewahren, was jedes Mal geschah, wenn sie ihren ausgelaugten Körper aufs Bett sinken ließ – stets in der Hoffnung, dass sie vor lauter Erschöpfung von den Albträumen verschont blieb. Von dem Entsetzen.
Aber nein. In den langen, ereignislosen Stunden, wenn der Schlaf eigentlich eine willkommene Zuflucht hätte sein sollen, war sie stattdessen ihrer eigenen, unbarmherzigen Erinnerung ausgeliefert. Dann quälten sie dieselben Bilder wie am Tage.
»Nein, bitte nicht«, murmelte sie, während sie sich hin und her warf. Gefangen in dem Zustand zwischen Schlaf und Wachsein, tauchte sie in einen nur allzu bekannten Albtraum ein. Sie versuchte herauszuschwimmen, hin zum Licht des bewussten Denkens. Aber sie konnte sich dem Sog nicht entziehen.
Das gelang ihr nie. Nicht in dieser Nacht. Und sonst auch nicht.
Der Traum, der kein Traum war.
Nicht einmal ansatzweise. Düstere Wirklichkeit verdrängte alle nächtlichen Fantastereien. Jeder Augenblick, jede einzelne, fürchterliche Sekunde jener kalten Nacht im Januar spulte sich wie ein Film in Endlosschleife in dem dunklen Vorführungsraum ihres Verstandes ab.
Helfen Sie mir, Wyatt. Ich bin hier. Bitte holen Sie mich.
Sie war wieder an dem einsamen Strand in Virginia. Allein. Dem Tod geweiht.
Und durchlebte jeden Moment noch einmal …
Helfen Sie mir. Holen Sie mich. Wieder und wieder rief sie im Traum diese Worte. Sie folgten aufeinander wie die schweren Wogen, die auf der anderen Seite der windgepeitschten Dünen, hinter denen sie im Sterben lag, gleichmäßig ans Ufer rollten. Zuerst waren ihre Rufe ganz laut, voller Zuversicht, dass er sie holen kommen würde, dass er sie finden würde, bevor es zu spät war. Wie ein schwacher Lichtschimmer glomm die Hoffnung inmitten der schwarzen
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