Black Dagger 01 - Nachtjagd
an.
»Marissa, Liebes?«
»Ich habe keinen Hunger.«
Havers trat durch die Tür. Er konnte die Umrisse ihres Himmelbettes erkennen und den Umriss ihres Körpers, der unter der Decke lag.
»Aber du hast schon gestern Nacht nichts gegessen.«
»Ich komme später herunter.«
Er schloss die Augen. Offenbar hatte sie die Nacht zuvor Blut getrunken. Jedes Mal, wenn sie Wrath traf, zog sie sich danach tagelang zurück.
Wieder dachte er an die lebendigen Blutkörperchen in seinem Labor.
Wrath mochte seiner Geburt nach der König der Vampire sein, und er mochte das reinste Blut von ihnen allen haben. Aber er war auch ein Krieger und ein Dreckskerl. Ihn schien es nicht im Geringsten zu stören, was er Marissa antat. Oder vielleicht merkte er noch nicht einmal, wie sehr seine Grausamkeit sie verletzte.
Schwer zu sagen, was von beiden das größere Verbrechen war.
»Ich habe heute einen entscheidenden Durchbruch erzielt«, sagte Havers, ging zum Bett hinüber und setzte sich auf die Kante. »Ich werde dich befreien.«
»Wovon?«
»Von diesem … Mörder.«
»Sprich nicht so von ihm.«
Er knirschte mit den Zähnen. »Marissa – «
»Ich will nicht von ihm befreit werden.«
»Wie kannst du so etwas sagen? Er behandelt dich ohne jeden Respekt. Allein die Vorstellung, dass dieses Monster in irgendeiner dunklen Gasse von dir trinkt – «
»Wir gehen zu Darius. Er hat dort ein Zimmer.«
Der Gedanke, dass sie dort noch einem weiteren dieser Krieger ausgesetzt war, machte ihn auch nicht glücklicher. Alle Black Dagger waren Furcht einflößend, und ein paar von ihnen waren geradezu schauerlich.
Er wusste, dass die Bruderschaft ein notwendiges Übel zur Verteidigung ihrer Rasse war. Und er wusste auch, dass er dankbar für ihren Schutz sein sollte. Dennoch erfüllte ihn schon ihre bloße Existenz mit Angst. Dass die Welt so gefährlich, die Feinde der Vampire so mächtig waren, dass sie solche Krieger brauchten, war einfach schwer zu ertragen.
»Du musst dir das nicht antun.«
Marissa drehte sich um und wandte ihm den Rücken zu. »Lass mich.«
Seufzend legte er sich die Hände auf die Knie und stand auf. Seine Erinnerungen an Marissa, bevor sie begonnen hatte, ihrem furchtbaren König zu Diensten zu sein, waren sehr schwach. Er wusste kaum noch, wie sie gewesen war, und er fürchtete, die heitere, lächelnde junge Frau war für immer verloren.
Und wer hatte ihren Platz eingenommen? Ein trauriger, fügsamer Schatten, der durch das Haus schwebte und sich nach einem Mann verzehrte, der sie ohne jede Achtung behandelte.
»Bitte denk doch noch mal über das Essen nach«, bat Havers sanft. »Ich würde mich sehr über deine Gesellschaft freuen.«
Leise schloss er die Tür und ging die prunkvolle, gewundene Treppe hinunter. Der Esszimmertisch war genau so gedeckt, wie er es gerne hatte, vollständig mit Porzellan, Kristallglas und Tafelsilber.
Er setzte sich ans Kopfende des schimmernden Tisches, und eine seiner Doggen kam herein, um ihm etwas Wein zu servieren.
Havers sah auf dem Teller vor sich Buttersalat und zwang sich zu einem Lächeln. »Karolyn, das ist ja ein wunderbarer Salat.«
Karolyn senkte den Kopf, ihre Augen leuchteten bei dem Lob. »Ich bin heute extra zum Markt gegangen, um genau den richtigen zu finden.«
»Das weiß ich wirklich zu schätzen.« Havers piekte mit der Gabel in eines der zarten grünen Blätter, während sie ihn allein in dem prächtigen Raum ließ.
Er dachte an seine Schwester, die zusammengekauert in ihrem Bett lag.
Ein Heiler zu sein war nicht nur sein Beruf, es lag auch in seiner Natur. Er war ein Mann, der sein gesamtes Leben dem Dienst an anderen gewidmet hatte. Doch sollte Wrath
jemals schwer genug verletzt werden, um ihn aufzusuchen, wäre Havers stark in Versuchung, diese Bestie verbluten zu lassen.
Oder ihn auf dem OP-Tisch mit einem raschen Skalpellschnitt zu töten.
10
Beth kam langsam wieder zu Bewusstsein. Es war, als würde sie aus erfrischendem, seidigem Wasser auftauchen. In ihrem Körper war ein Leuchten, eine tiefe Befriedigung, als sie der dämmrigen Welt des Schlafes entstieg.
Da war etwas auf ihrer Stirn.
Ihre Augenlider sprangen auf. Lange männliche Finger bewegten sich über ihren Nasenrücken, dann fuhren sie über ihre Wange hin zum Kieferknochen.
Aus der Küche drang ausreichend Licht herüber, so dass sie den neben ihr liegenden Mann schemenhaft erkennen konnte.
Sein Gesicht wirkte hochkonzentriert, während er ihr Gesicht erforschte. Die
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