Black Dagger 04 - Bruderkrieg
versagte ihr Körper.
Sie lag da, noch bei Bewusstsein, aber unfähig, sich zu bewegen. Sie hatte das Gefühl, dass ihr irgendetwas in die Augen tropfte. Vermutlich ihr eigenes Blut, vielleicht auch das des Lesser.
Ihr Blickfeld veränderte sich ruckartig, als sie umgedreht wurde.
Sie sah dem Lesser ins Gesicht. Dunkles Haar, blassbraune Augen.
Du lieber Himmel.
Der Vampirjäger weinte, als er sie vom Boden aufhob und in den Armen wiegte. Das Letzte, was sie noch mitbekam, war der Anblick seiner Tränen, die auf ihr Gesicht fielen.
Sie spürte überhaupt nichts.
Vorsichtig hob O die Frau aus dem Fahrerhäuschen seines Pick-ups. Er wünschte, er hätte nicht zugestimmt, seine eigene Wohnung aufzugeben und im Überzeugungszentrum zu leben. Er hätte sie lieber von den anderen Lessern ferngehalten. Andererseits konnte er hier dafür sorgen, dass sie nicht entkam. Und wenn einer seiner Kollegen ihr zu nahe kam … Dafür gab es ja die Messer.
Während er sie durch die Tür trug, betrachtete er ihr Gesicht. Sie war seiner Jennifer so ähnlich. Die Augen hatten eine andere Farbe, aber dieses herzförmige Gesicht. Das dichte, dunkle Haar. Und der Körper – schlank und perfekt proportioniert.
Eigentlich war sie sogar schöner, als Jennifer es je gewesen war. Und sie schlug auch härter zu.
Er legte die Frau auf den Tisch und befühlte den Bluterguss auf ihrer Wange, die aufgeplatzte Lippe, die Druckstellen auf ihrem Hals. Der Kampf war überwältigend gewesen; gnadenlos, bedingungslos, grenzenlos, bis er gewonnen hatte und ihren erschöpften Körper endlich in den Armen hielt.
Er dachte zurück an die Vergangenheit. Immer hatte er Angst gehabt, dass er es wäre, der Jennifer eines Tages töten würde. Dass eines Nachts all das Prügeln eine Grenze überschreiten würde. Stattdessen hatte er am Ende den Autofahrer umgebracht, der betrunken frontal mit ihrem
Auto zusammengeprallt war. Der Drecksack war um fünf Uhr nachmittags sternhagelvoll gewesen, und sie auf dem Heimweg von der Arbeit.
Ihren Mörder kaltzumachen war leicht gewesen. Er hatte herausgefunden, wo der Kerl wohnte, und gewartet, bis er besoffen nach Hause kam. Dann hatte er ihm den Schädel mit einer Brechstange eingeschlagen und ihn die Treppe hinuntergestoßen. Noch bevor die Leiche kalt war, hatte O sich ins Auto gesetzt und war quer durchs Land gen Nordosten gefahren.
Wo er in die Fänge der Gesellschaft geraten war.
Draußen hielt ein Wagen. Rasch hob er die Vampirin wieder auf und trug sie zu den Aufbewahrungsrohren hinüber. Er schlang ein Geschirr um ihre Brust, öffnete einen Deckel und ließ sie hinunter.
»Haben Sie noch einen?«, fragte U, als er hereinkam.
»Ja.« O schaute demonstrativ in das andere Loch auf den Vampir, den Mr X vergangene Nacht bearbeitet hatte. Er rutschte unruhig in dem Rohr herum und machte leise, ängstliche, maunzende Geräusche.
»Dann knöpfen wir uns den frischen Fang doch mal vor«, meinte U.
O parkte seinen Stiefel auf dem Deckel über der Vampirin. »Die hier gehört mir. Wenn einer sie anfasst, ziehe ich ihm mit den Zähnen die Haut ab.«
»Was? Ausgezeichnet. Der Sensei wird ausflippen.«
»Kein Wort zu ihm. Haben wir uns verstanden?«
U runzelte die Stirn, dann zuckte er die Achseln. »Klar. Wie Sie wollen. Aber Ihnen ist doch klar, dass er es früher oder später herausfinden wird? Glauben Sie dann bloß nicht, dass er es von mir hat.«
O konnte sich tatsächlich vorstellen, dass U das Geheimnis wahren würde. Aus einem Impuls heraus gab er dem Jäger die Adresse der umgebauten Scheune, in die er eingebrochen
war. Ein kleiner Gefallen im Austausch gegen die Verschwiegenheit des Lesser.
»Der Name der Besitzerin ist Mary Luce. Sie wurde mit einem Bruder gesichtet. Schnappen Sie sich die Braut.«
U nickte. »Das werde ich machen, aber die Sonne geht schon bald auf, und ich muss mich mal aufs Ohr hauen. Ich hab seit zwei Nächten nicht geschlafen und werde langsam schwach.«
»Dann eben morgen. Und jetzt lassen Sie uns allein.«
U legte den Kopf schief und blinzelte in das Rohr hinein. »Uns?«
»Verschwinden Sie hier, U.«
U fügte sich und O lauschte, bis das Motorengeräusch schwächer wurde.
Zufrieden betrachtete er den Deckel. Und konnte nicht aufhören zu grinsen.
20
Rhage kehrte erst um fünf Uhr nachmittags in das große Haus zurück. Völlig geräuschlos lief er durch den Tunnel. Er hatte seine Schuhe ausgezogen, weil sie durchweicht waren, und dann vergessen, wo er sie
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