Black Dagger 09 - Seelenjäger
davontreiben. Ich kann nichts fühlen. Nicht das Bett … nicht meinen Körper.«
Sie betrachtete seine Hand um ihr Gelenk, dann musterte sie seinen Bizeps und die breite Brust. Flüchtig schoss ihr durch den Kopf, dass er ihren Arm mühelos brechen könnte, aber sie wusste, er würde es nicht tun. Noch vor einer halben Stunde hätte er bereitwillig seinem besten Freund die Kehle herausgerissen, um sie zu beschützen –
Schluss damit.
Fühl dich nicht sicher bei ihm. Das Stockholm-Syndrom tut dir nicht gut.
»Bitte.« Sein Atem ging zittrig, die Verlegenheit schnürte ihm den Hals zu.
Bisher hatte sie nie begriffen, wie Entführungsopfer eine Beziehung zu ihren Kidnappern aufbauen konnten. Das verstieß ebenso gegen jede Logik wie auch gegen den Selbsterhaltungstrieb : Dein Feind kann nicht dein Freund sein.
Aber ihm die Wärme zu verweigern, war undenkbar. »Dann brauche ich aber meine Hand zurück.«
»Du hast zwei. Nimm die andere.« Damit rollte er sich um die Hand, die er festhielt, zusammen, wobei die Decke noch weiter an seinem Oberkörper herunterrutschte.
»Lassen Sie mich die Seiten wechseln«, murmelte sie, entzog ihm die eine Hand, ersetzte sie durch die andere, dann legte sie ihm die jetzt freie auf die Schulter.
Seine Haut hatte den goldbraunen Ton einer Sommerbräune und war glatt … Mann, sie war so glatt und weich. Sie zog die Wölbung seiner Wirbelsäule nach bis in den
Nacken, und ehe sie sich versah, streichelte sie sein glänzendes Haar. Hinten kurz, um das Gesicht herum länger – sie fragte sich, ob er es extra so trug, um die Tätowierungen an der Schläfe zu verstecken. Andererseits – warum sollte er sich an so einer auffälligen Stelle kennzeichnen lassen und es dann nicht zeigen?
Seiner Kehle entstieg ein Geräusch, ein Schnurren, das durch seine Brust und den Rücken rollte; dann rückte er etwas zur Seite, wodurch er an ihrem Arm zog. Eindeutig wollte er, dass sie sich neben ihm ausstreckte, doch als sie sich widersetzte, ließ er locker.
Sie betrachtete ihren Arm in seinem Griff und dachte an das letzte Mal, als sie mit einem Mann so verschlungen gewesen war. Lange her. Und offen gestanden, war es nicht so gut gewesen.
Manellos dunkle Augen kamen ihr in den Sinn …
»Denk nicht an ihn.«
Jane zuckte zurück. »Woher wussten Sie, dass ich an ihn gedacht habe?«
Der Patient ließ sie los und drehte sich langsam von ihr weg. »Entschuldigung. Geht mich nichts an.«
»Woher wussten Sie es?«
»Ich versuche jetzt, zu schlafen, okay?«
»Okay.«
Jane stand auf und ging zurück zu ihrem Sessel. Sie dachte an das Herz mit den sechs Kammern. Sein nicht bestimmbares Blut. Seine Fangzähne im Handgelenk der blonden Frau. Beim Blick zum Fenster musste sie sich unwillkürlich fragen, ob die Abdeckung der Scheiben von außen nicht nur der Sicherheit diente, sondern auch dazu, das Sonnenlicht abzuhalten.
Was bedeuten würde? Dass sie mit einem … Vampir in einem Raum eingesperrt war?
Ihre rationale Seite wies den Gedanken sofort zurück,
aber in ihrem tiefsten Inneren regierte die Logik. Mit einem Kopfschütteln rief sie sich ihr Lieblingszitat von Sherlock Holmes ins Gedächtnis und formulierte es um: Wenn man alle möglichen Erklärungen ausschließt, dann bleibt nur das Unmögliche als Lösung. Logik und Biologie konnten nicht lügen, oder? Das war einer der Gründe, warum sie sich entschieden hatte, Ärztin zu werden.
Sie sah wieder ihren Patienten an und verlor sich in den Folgen ihrer Überlegungen. Ihr Verstand taumelte angesichts der evolutionären Möglichkeiten, doch sie machte sich auch Gedanken über die praktischen Dinge. Sie dachte an die Medikamente in dieser Reisetasche und daran, dass ihr Patient in einem gefährlichen Teil der Stadt unterwegs gewesen war, als er angeschossen wurde. Und hallo, die Kerle hatten sie entführt.
Wie um alles in der Welt sollte sie ihm oder seinem Wort trauen?
Jane steckte die Hand in die Kitteltasche und tastete nach der Rasierklinge. Die Antwort darauf war einfach. Das konnte sie unter keinen Umständen.
14
Oben in seinem Zimmer saß Phury an das Kopfende seines Bettes gelehnt, die blaue Samtdecke über den Beinen. Seine Prothese hatte er abgelegt, und ein Joint glühte in einem schweren Glasaschenbecher neben ihm. Mozart wehte aus verborgenen Bose-Lautsprechern herüber.
Das Buch über Schusswaffen vor ihm diente nur als Unterlage. Ein dickes Blatt weißes Papier lag darauf, aber sein Ticonderoga-Bleistift ruhte schon
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