Black Dagger 11 - Blutlinien
Küche gekommen, wo sie über eine Schüssel Frosties gebeugt saß, die Füße von einem der Erwachsenenstühle baumelnd, auf dem sie saß. Sie trug rosa Hausschuhe – die sie nicht mochte, aber anziehen musste, wenn ihre Lieblingsschlappen, die marineblauen, in der Wäsche waren – und ein Flanellnachthemd mit gelben Rosen.
Sie hatte so niedlich ausgesehen, mit ihren langen braunen Haaren und diesen rosa Hausschuhen und der gerunzelten Stirn, während sie die letzten Flocken mit einem Löffel durch die Milch scheuchte.
»Warum starrst du mich so an, du Gockel?«, hatte sie gekräht, die Füße unter dem Stuhl vor und zurück schwingend.
Er hatte lächeln müssen. Auch damals schon trug er den Irokesenschnitt, und sie war die Einzige, die sich traute, ihm dafür einen frechen Spitznamen zu geben. Und selbstverständlich liebte er sie deshalb noch mehr. »Einfach so.«
Was natürlich gelogen war. Wie sie so in der Milch herumfischte, hatte er sich gedacht, dass dieser ruhige, stille Moment das ganze Blut, das an seinen Hände klebte, wert war. Mehr als wert.
Seufzend hatte sie ihren Blick der Frosties-Schachtel, die
gegenüber auf der Arbeitsfläche stand, zugewandt. Ihre Füße hatten das Zappeln eingestellt, das leise ffft, ffft, ffft der Schlappen auf der unteren Sprosse des Stuhls war verklungen.
»Was siehst du an, Prinzessin?« Als sie nicht sofort antwortete, schielte er zu Tony, dem Tiger, hinüber. Erinnerungen an ihren Vater blitzten durch seinen Kopf, und er hätte wetten mögen, dass sie dasselbe vor sich sah.
Zaghaft hatte sie gesagt: »Ich darf mehr haben, wenn ich will. Vielleicht.«
Ihr Tonfall war zögerlich gewesen, als tauchte sie die Zehen in einen Teich, in dem möglicherweise Blutegel waren.
»Ja, Bella. Du darfst so viel haben, wie du willst.«
Sie war nicht vom Stuhl aufgesprungen. Sondern hatte sich still verhalten, wie Kinder und Tiere es tun – einfach atmen, mit den Sinnen die Umgebung abtasten, Gefahren auskundschaften.
Rehv hatte sich nicht gerührt. Obwohl er ihr die Schachtel so gern gebracht hätte, wusste er auch, dass sie selbst den glänzenden kirschroten Fußboden in ihren Hausschuhen überqueren und Tony, den Tiger, holen musste. Ihre eigenen Hände mussten es sein, die die Schachtel hielten und eine neue Portion Flocken in die inzwischen warme Milch schütteten. Sie allein musste den Löffel nehmen und weiter essen.
Sie musste selbst erfahren, dass es niemanden im Haus gab, der sie dafür tadeln würde, noch hungrig zu sein.
Auf so etwas war ihr Vater spezialisiert gewesen. Wie viele Männer seiner Generation hatte dieser blöde Wichser geglaubt, dass Frauen der Glymera auf ihre gute Figur achten mussten. Wie er nicht müde wurde zu wiederholen, war Fett am Körper einer weiblichen Aristokratin das Äquivalent zu Staub, der sich auf einer kostbaren Statue sammelt.
Ihre Mutter hatte er noch viel härter angepackt.
Schweigend hatte Bella in ihre Milch gestarrt und mit dem Löffel Wellen darin gezogen.
Sie würde es nicht tun, hatte Rehv noch gedacht und ihren verfluchten Erzeuger am liebsten nochmal umgebracht. Sie hatte immer noch Angst.
Doch dann hatte sie den Löffel auf den Teller unter der Schüssel gelegt, war vom Stuhl gerutscht und in ihrem Nachthemdchen durch die Küche getapst. Sie sah ihn nicht an. Sah auch an Tonys Zeichentrickgesicht vorbei, als sie die Schachtel aufhob.
Sie zitterte vor Furcht. Sie war mutig. Sie war winzig, aber sie war entschlossen.
In diesem Moment war ihm rot vor Augen geworden, aber nicht, weil seine böse Seite hervorbrach. Als sie sich die zweite Portion Frosties in die Schüssel schüttete, hatte er gehen müssen. Hatte etwas nichtssagend Fröhliches gemurmelt, war schnell in die Gästetoilette gegangen und hatte sich eingeschlossen.
Seine blutigen Tränen hatte er allein geweint.
Dieser Augenblick in der Küche mit Tony, dem Tiger, und Bellas Hausschuhen hatte ihm bewiesen, dass er das Richtige getan hatte: Die Billigung des Mordes, den er begangen hatte, lag darin, dass die Frosties-Schachtel von seiner geliebten kleinen Schwester durch die Küche getragen wurde.
Er kehrte in die Gegenwart zurück und dachte an die Bella von heute: Eine erwachsene Frau mit einem starken Partner und einem Baby in ihrem Bauch.
Gegen die Dämonen, mit denen sie nun zu kämpfen hatte, konnte ihr großer, böser Bruder ihr nicht helfen. Es gab kein offenes Grab, in das er die zerschlagenen, blutigen Überreste des Schicksals werfen
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