Black Dagger 11 - Blutlinien
fangen, und das Anziehen tat ein Übriges.
Heute Abend war kein Unterricht, deshalb würde er sich noch ein paar Stunden unten im Büro herumtreiben und sich später mit Qhuinn und Blay treffen. Er hoffte, dass viel Papierkram zu erledigen war. Heute Nacht freute er sich nicht besonders auf seine besten Freunde.
Sie würden zu dritt in die Stadt fahren zum … o Gott, zum Shoppen.
Es war Qhuinns Idee gewesen. Wie meistens. Seiner Meinung nach musste Johns Garderobe dringend aufpoliert werden. John sah an seiner Levi’s-Jeans und seinem weißen T-Shirt herab. Das einzig Lässige an ihm waren seine Turnschuhe: Nike Air Max, in Schwarz. Und selbst die waren nicht gerade premiumlässig.
Vielleicht hatte Qhuinn nicht ganz Unrecht damit, dass John in modischer Hinsicht ein totaler Amateur war, aber mal im Ernst: Wen musste er denn beeindrucken?
Bei dem Wort, das ihm spontan in den Kopf kam, fluchte er und schüttelte sich. Xhex.
Es klopfte an seiner Tür. »John? Bist du da?«
Schnell stopfte sich John das Shirt in die Hose und überlegte, was Phury wohl von ihm wollen konnte. Er lernte immer fleißig und machte gute Fortschritte im Nahkampf. Vielleicht ging es um seine Arbeit im Büro?
John machte die Tür auf. Hallo, grüßte er in Gebärdensprache.
»Hey, wie geht’s dir?« John nickte und runzelte dann die Stirn, als der Bruder ebenfalls in die Gebärdensprache wechselte. Ich wollte dich um einen Gefallen bitten.
Aber sicher doch.
Cormia … tja, es war nicht einfach für sie, auf diese Seite zu kommen. Ich glaube, es wäre toll, wenn sie ein bisschen Zeit mit jemandem verbringen würde, der, du weißt schon … der freundlich, aber zurückhaltend ist. Unkompliziert. Glaubst du, du könntest dich ein bisschen um sie kümmern? Dich einfach nur mit ihr unterhalten oder ihr das Haus zeigen oder … egal was. Ich würde es ja tun, aber …«
Das ist kompliziert, beendete John den Satz im Kopf.
Das ist kompliziert, zeigten Phurys Hände.
Ein Bild der stillen, blonden Auserwählten blitzte in Johns Kopf auf. Er hatte beobachtet, wie geflissentlich Cormia und Phury einander in den vergangenen Monaten nicht angesehen hatten, und fragte sich schon länger – wie zweifellos alle anderen im Haus – ob sie den Deckel schon draufgemacht hatten, sozusagen.
John glaubte nicht daran. Sie waren beide noch viel zu verlegen im Umgang miteinander.
Würde es dir etwas ausmachen?, fragte Phury. Ich denke mir, sie muss doch Fragen haben oder … keine Ahnung, Dinge, über die sie reden möchte.
Offen gestanden wirkte die Auserwählte nicht, als hätte sie ein gesteigertes Bedürfnis nach Unterhaltung. Bei den Mahlzeiten hielt sie immer den Kopf gesenkt, sagte kein Wort und aß nur weiße Lebensmittel. Aber wenn Phury ihn darum bat – wie könnte John ablehnen? Der Bruder half ihm jederzeit bei seinem Kampftraining und beantwortete Fragen außerhalb des Klassenzimmers und war generell einfach der Typ, dem man mit Freuden einen Gefallen tat, weil er zu jedem nett war.
Klar, entgegnete John. Mach ich doch gern.
Danke. Phury klopfte ihm so zufrieden auf die Schulter, als hätte er das Loch im Fahrradreifen endlich gefunden. Ich sage ihr, dass ihr euch nach dem Ersten Mahl in der Bibliothek trefft.
John sah wieder an seinen Klamotten herab. Er war nicht sicher, ob die Jeans schick genug war, aber in seinem Schrank hing nichts anderes.
Vielleicht war es doch ganz gut, dass er und die Jungs zum Shoppen verabredet waren. Schade eigentlich, dass sie das nicht schon früher getan hatten.
3
Die Tradition der Gesellschaft der Lesser sah vor, dass man nach seiner Einführung mit dem Anfangsbuchstaben seines Nachnamens angesprochen wurde.
Mr D hätte eigentlich Mr R heißen müssen. R wie Roberts. Die Sache war nur die – zu dem Zeitpunkt, als man ihn rekrutiert hatte, nannte er sich gerade Delancy. Also war aus ihm Mr D geworden, und unter diesem Namen kannte man ihn jetzt seit dreißig Jahren.
Aber wen kratzte das schon. Namen waren sowieso Schall und Rauch.
Mr D schaltete in den dritten Gang, als er in eine Kurve auf der Route 22 fuhr, aber das brachte auch nicht wirklich viel. Der Ford Focus hatte ungefähr so viel Power wie ein Neunzigjähriger. Roch irgendwie auch nach Mottenkugeln und schuppiger Haut.
Das Umland von Caldwell, New York, bestand aus einem etwa achtzig Kilometer breiten Gürtel Ackerflächen und Kuhweiden, und während er so über die Landstraße stotterte,
musste er plötzlich an Mistgabeln denken.
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