Black Dagger 13 - Racheengel
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»Warum wolltest du es überhaupt versuchen?«
Sie runzelte die Stirn. Hätte die Frage selbstmitleidig oder anklagend geklungen, hätte sie aufgelegt und sich eine neue Nummer besorgt. Aber es lag nichts außer ehrlicher Verwunderung in seiner Stimme. Das und grenzenlose Erschöpfung.
»Ich verstehe einfach nicht... warum«, murmelte er.
Ihre Antwort war schlicht und kam aus tiefstem Herzen: »Wie könnte ich das nicht.«
»Was, wenn ich es nicht verdiene?«
Sie dachte daran, wie Stephan auf dem kalten Stahl gelegen hatte, sein Körper kalt und geschunden. »Jeder mit einem schlagenden Herzen verdient es, gerettet zu werden.«
»Hast du deshalb einen Pflegeberuf gewählt?«
»Nein, ich bin Pflegerin, weil ich später Ärztin werden will. Die Sache mit der Rettung gehört zu meiner Weltanschauung.«
Das Schweigen zwischen ihnen dauerte ewig.
»Sitzt du im Auto?«, erkundigte er sich schließlich.
»Im Krankenwagen, ja. Ich fahre zurück zur Klinik.«
»Bist du allein unterwegs?«, knurrte er.
»Ja, und du kannst dir die Machonummer sparen. Ich habe eine Pistole unter dem Sitz und weiß, wie man damit umgeht.«
Ein leises Lachen drang durch das Handy. »Okay, das ist sexy. Es tut mir leid, aber das ist es.«
Unfreiwillig musste sie lächeln. »Du treibst mich in den Wahnsinn, weißt du das? Obwohl ich dich kaum kenne, bringst du mich schon auf die Palme.«
»Und irgendwie schmeichelt mir das.« Es gab eine Pause. »Was ich vorher gesagt habe tut mir leid. Ich hatte eine schlimme Nacht.«
»Ja, naja, das Gleiche gilt für mich. Sowohl das mit dem Leidtun als das mit der schlimmen Nacht.«
»Was ist passiert?«
»Das zu erklären würde zu weit führen. Bei dir?«
»Das Gleiche.«
Als er sich umsetzte, raschelte eine Decke. »Bist du schon wieder im Bett?«
»Ja. Und du willst es noch immer nicht wissen.«
Sie grinste breit. »Du meinst, ich soll schon wieder nicht fragen, was du anhast?«
»Du hast es erfasst.«
»Das wird langsam zur Routine.« Sie wurde ernst. »Du hörst dich wirklich krank an. Wenn du nicht in die Klinik kommen kannst, kann ich dir Medikamente bringen.« Das Schweigen am anderen Ende war so intensiv und lang, dass sie fragte: »Hallo? Bist du noch da?«
»Morgen Nacht... könntest du dann zu mir kommen?«
Ihre freie Hand schloss sich fester um das Steuer. »Ja.«
»Ich wohne im obersten Stock auf dem Commodore-Gebäude. Kennst du das?«
»Ja.«
»Kannst du um Mitternacht da sein? Ostseite?«
»Ja.«
Sein Seufzen klang resigniert. »Ich werde dich erwarten. Fahr vorsichtig, okay?«
»Mach ich. Und du wirf dein Handy nicht wieder weg.«
»Woher weißt du, dass ich das getan habe?«
»Hätte ich ein freies Feld vor mir gehabt statt des Armaturenbretts, hätte ich das Gleiche getan.«
Sein Lachen brachte sie zum Schmunzeln, aber es schwand, als sie auflegte und das Handy wegsteckte.
Obwohl sie stetige fünfundsechzig Meilen die Stunde fuhr und die Straße gerade und frei vor ihr lag, fühlte sie sich, als hätte sie vollkommen die Kontrolle verloren und würde von einer Leitplanke zur anderen schlingern, während der Krankenwagen funkensprühend einzelne Teile verlor.
Ihn morgen Nacht zu treffen, in seiner Privatwohnung, allein mit ihm zu sein, war genau das Falsche.
Und trotzdem würde sie es tun.
22
Montrag, Sohn des Rehm, legte den Hörer auf die Gabel und blickte durch die Flügeltüren des väterlichen Arbeitszimmers hinaus auf die Terrasse. Die Beete und Bäume, der sanft abfallende Rasen sowie das große Haus und alles, was sich darin befand, gehörten jetzt ihm und waren nicht länger ein Vermächtnis, das ihm eines Tages zufallen würde.
Als er das Gelände auf sich wirken ließ, spürte er das Hochgefühl von Besitztum in seinem Blut, aber er war nicht zufrieden mit der Aussicht. Alles war für den Winter hergerichtet, die Blumenbeete umgepflügt, die Obstbäume mit Netzen umspannt, die Ahornbäume und Eichen kahl. Deshalb sah man die Mauer, die das Grundstück umgab, und das war einfach kein schöner Anblick. Diese hässlichen Sicherheitsvorkehrungen sollten besser verdeckt bleiben.
Montrag drehte sich um und wandte sich einer erfreulicheren Aussicht zu, obgleich sie nur an der Wand hing. Mit einem Anflug von Ehrfurcht, wie er es seit jeher getan hatte, betrachtete er sein bevorzugtes Gemälde, denn Turner verdiente
wahrlich Bewunderung, sowohl für seine Kunstfertigkeit als auch für die Wahl seiner Motive. Besonders bei diesem Werk: Die
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