Black Dales
und es herrschte wieder Ruhe.
In dunklen Stunden
Kate wartete eine halbe Ewigkeit, bevor sie sich wieder regte, doch noch immer blieb um sie herum alles still. Nach einem kurzen Blick auf Nathan und reichlich Überwindung drückte sie die Klinke schließlich hinunter und zog die Tür ein winziges Stück auf.
Zuerst sah sie gar nichts, obwohl der Spalt ausreichte, um den Altar und die ersten Reihen der Bänke erkennen zu können, dann bemerkte sie eine Person, die auf einer der hinteren Bänke Platz genommen hatte und sich gerade noch in ihrem Sichtfeld befand.
Kate verengte die Augen, um besser sehen zu können, und neben ihr stöhnte Nathan leise auf.
Irritiert wandte sie sich zu ihm um. »Was hast du?«, wollte sie mit gedämpfter Stimme wissen und stutzte bei seinem verdrießlichen Gesichtsausdruck. Sie runzelte die Stirn. »Wer ist das?«
Er seufzte. »Mrs Spriggs«, gab er leise zurück. Seine Stimme klang fast schon etwas genervt – und reichlich ironisch bei den nächsten Worten. »Eigentlich eine wirklich nette alte Dame, aber mit dem unsäglichen Talent gesegnet, immer dann aufzutauchen, wenn man sie am wenigsten gebrauchen kann. Außerdem riecht sie penetrant nach Rosenwasser – sei froh, dass dir das erspart bleibt.«
Kate sah wieder durch den Türspalt nach vorne. »Aber jetzt ?« Sie beobachtete die Frau, die den Kopf zum Gebet gesenkt hatte und nun noch kleiner und gebrechlicher wirkte, als sie ohnehin schon zu sein schien. »Es ist elf!«
Nathan zuckte leicht mit den Schultern. »Vielleicht braucht sie ein wenig Trost in den dunklen Stunden.«
Zuerst dachte Kate, er hätte die Worte bloß zum Scherz gesagt, aber sein Gesicht war ernst geblieben.
»Ihr Mann starb vor einigen Jahren«, klärte er sie auf, als er ihre fragende Miene sah. »Nur kurze Zeit vorher ist ihr Sohn bei einem Autounfall ums Leben gekommen.«
»Die arme Frau! Kein Wunder, wenn sie sich alleine fühlt!«
Nathan neigte mit skeptischer Miene den Kopf. »Sollte man meinen«, murmelte er bissig, und Kate sah sich flüchtig zu ihm um.
»Was?«, fragte sie, weil sie sein Flüstern kaum verstanden hatte, wohl aber den Ton, indem er die Worte gesagt hatte.
Er schnaubte leise. »Vielleicht wäre sie nicht ganz so allein, wenn sie sich mehr Mühe geben würde, sich Freunde zu machen, anstatt die letzten Menschen zu vergraulen, die ihr noch halbwegs wohlgesonnen sind!«
Kate musste bei seiner Miene unweigerlich schmunzeln. »Was bedeutet…?«
Nathan blickte scharf zu Mrs Spriggs hinüber. »Sie hat es sich zum Hobby gemacht, sich über jeden unschuldigen Bürger in Settle das Maul zu zerreißen, der ihr über den Weg läuft«, antwortete er. »Und frag mich nicht, was sie daran findet – aber offensichtlich muss es viel Spaß machen!«
Bei seinen Worten konnte sich Kate ein Lachen nicht verkneifen. »Klingt fast so, als würdest du aus eigener Erfahrung sprechen«, bemerkte sie, wobei sie sich nur schwerlich vorstellen konnte, dass es etwas an ihm gab, über das man sich aufregen konnte.
Als sie seine Miene sah, wusste sie, dass sie richtig lag. Sie musste grinsen. »Wirklich? Und was hast du verbrochen?«
Ein unschuldiges Lächeln trat auf seine Lippen. »Oh, sie war damals fest davon überzeugt, dass ich schon zum dritten Mal im Halteverbot stehen würde und es doch sehr unwahrscheinlich sei, dass ich mir in meinem zarten Alter überhaupt schon ein Auto leisten könne. Und überhaupt sei doch alles sehr suspekt.« Sein Blick verdüsterte sich ein wenig. »Reizende Frau! Mit welcher Beharrlichkeit und Ausdauer sie sich in ihrem Alter noch für ihren Zeitvertreib ereifert, ist wirklich bewundernswert. Keine Ahnung, was auch immer ihr das bringt – außer einen Herzinfarkt vielleicht.«
Kate grinste immer noch. Solch derbe Worte aus Nathans Mund zu hören, war recht überraschend.
»In ihrem Alter?«
»Kate – die Frau ist vierundachtzig.«
»Mh-hm. Wie alt bist du? Zweihundertsiebzig?«
Nathan stutzte eine Sekunde. »Aber bei mir ist die Gefahr eines Herzinfarkts wohl deutlich geringer!«, lächelte er. »Außerdem…« Plötzlich wurde seine Miene ernster. »Zurück.«
Während er gesprochen und Kate ihren Blick einen Moment von der Frau abgewandt hatte, war Mrs Spriggs aufgestanden und zu einer der Heiligenstatuen hinübergeschritten, die gegenüber der Tür zur Sakristei stand. Dort sprach die alte Frau ein stummes Gebet, bei dem die Lippen nur eben die Worte formten, entzündete eine der Kerzen vor sich und
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