Black Mandel
sagte ich.
»Ich kann ja später vorbeikommen. Du bist bei Vilde, oder?«, sagte Aasen.
»Was heißt später?«
»So gegen acht«, sagte Aasen.
»Nicht früher?«, fragte ich.
»Nein«, sagte Aasen.
Das bedeutete Warten. Im Gegensatz zum Mandel hasste ich Warten. Vom Warten bekam man einen fettigen Film auf der Haut. Wenn die anderen Kinder beim Zahnarzt im Wartezimmer mit der größten Abgebrühtheit Tetris auf dem Gameboy spielten, biss ich mir die Fingernägel kaputt und musste alle fünf Minuten aufs Klo. Heutzutage kann ich im Wartezimmer zwar in einer Illustrierten herumblättern, aber von der sprichwörtlichen Engelsgeduld bin ich immer noch sieben Kreise der Hölle weit entfernt. Ganz im Gegensatz zum Mandel. Manchmal habe ich fast den Eindruck, der Mandel wartet geradezu darauf, dass eine Wartephase kommt, damit er sich in aller Gemütlichkeit zurücklehnen und warten darf. Es kann sogar sein, dass der Mandel der einzige Mensch auf der Welt ist, der gerne wartet und vom Warten keinen Fettfilm auf der Haut bekommt.
»Ich hab keine Lust, so lange zu warten«, sage ich manchmal, wenn sich irgendwer verspätet oder bei McDonald’s eine lange Schlange ist.
»Wir haben doch Zeit«, sagt der Mandel dann, und im ersten Moment denkt man ja, klar, da hat er Recht, aber in Wirklichkeit ist das ja die größte Lüge. Ab fünfunddreißig hast du keine Zeit mehr. Ab fünfunddreißig packt dich das Leben und schleift dich unbarmherzig durch die Jahre, bis du in null Komma nix völlig ramponiert bei fünfundsiebzig angekommen bist, und dann stirbst du am Herzinfarkt oder Prostatakrebs. Wenn wir etwas ganz sicher nicht mehr haben, dann ist das Zeit. Doch es blieb mir auch in diesem Fall nichts weiter übrig, als auf Aasen zu warten. Mir fiel ein, dass ich nachschauen wollte, wo dieses Fykse lag. Mein Computer stand noch im Massakre, deshalb ging ich in Vildes Zimmer, um ihren zu benutzen. Er lag auf ihrem Bett, und ich klappte ihn auf, um mir die Route von Vildes Wohnung zu dem Gardsrestaurant anzeigen zu lassen. Die Fahrzeit betrug ungefähr neunzig Minuten. Weil ich gerade dabei war, rief ich meine Mails ab, aber außer dem Newsletter vom Deutschen Detektiv-Verband und der Monats-Mail vom King-Diamond-Fanclub war da nichts. Der DDV -Newsletter wies auf eine neue Einkommensquelle für Detektive hin, nämlich das Überprüfen von Mitarbeitern einer Firma, die angeblich krank zu Hause liegen, aber unter Verdacht stehen blauzumachen. Widerwärtig, so eine Bespitzelung der eigenen Angestellten, dachte ich und leitete den Newsletter an den Mandel weiter. Als ich den Browser wieder zumachte, fiel mir auf, dass Vilde auf ihrem Desktop einen Ordner mit dem Titel Håvards computer liegen hatte. Ich klickte auf den Ordner, aber zur Freigabe der Dateien verlangte Håvards Computer ein Passwort von mir. Ohne lange zu überlegen, gab ich Vilde ein, aber der Ordner blieb gesperrt. Ich probierte es ohne Großbuchstaben , aber es half nichts. Danach noch Håvard, Cristian, Gunarr und Dark Reich in verschiedenen Schreibweisen und Klassiker wie 123 456, fuckyou oder den Evergreen password. Eigentlich hätte ich es dabei belassen können, denn so sehr interessierte mich Håvards Computer nun auch wieder nicht, aber dann hatte ich diesen einen Einfall, den ich noch ausprobieren wollte. Ich tippte friendsofsauron in das Feld und befand mich damit augenblicklich in dem jetzt freigegebenen Ordner auf Håvards Computer. Es gab dort etliche kleine Filme, jeder um die fünfzig Megabyte groß. Sie waren offensichtlich nach dem Datum ihrer Entstehung benannt, aber in der Syntax umgestellt, damit der Computer die Dateien numerisch ordnen konnte. Zuerst die Jahreszahl, dann der Monat, dann der Tag. Ganz oben in der Liste stand die Datei mit dem Datum vom letzten Mittwoch. Ich öffnete sie, und ein Video erschien auf dem Bildschirm. Zuerst erkannte ich nicht genau, was ich da sah, und dann begriff ich es nicht gleich. Vilde lag auf einem Bett und las in einem Buch. Es handelte sich um Die Pest von Camus. Die Kamera musste schräg über ihr angebracht worden sein, weil man sie leicht seitlich von oben betrachtete. Sie war in dem Zimmer, in dem ich mich im Moment befand. Ich schaute nach oben über meine Schulter in das Bücherregal, aber außer einer Komplettausgabe der Anne-Rice-Vampirsaga fiel mir nichts Ungewöhnliches auf. In dem Video sah man zunächst nur die lesende Vilde auf ihrem eigenen Bett. Sie trug einen kurzen blauen Stoffrock, und
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