Black Mandel
meisten Musiker tun so, als hätten sie etwas zu sagen, obwohl sie nur Geld verdienen wollen«, sagte Myklebust.
»Und du?«
»Was?«
»Willst du kein Geld mit deiner Musik verdienen?«, fragte der Mandel.
»Nein. Ich habe genug, ich arbeite für meinen Vater und verdiene mein eigenes Geld. Ich mache keine Musik, um Geld zu verdienen oder Fans zu haben. Ich will dem Staat und der Kirche ihre Überheblichkeit austreiben. Ich will, dass die Leute aufwachen und anfangen, ihr eigenes Leben zu leben, frei von Begrenzungen, die nicht unserer Kultur entspringen. Ich will, dass wir uns nicht einschränken, nur weil es uns ein Gesetz oder – noch schlimmer – eine religiöse Konvention vorschreibt. Ich will verdammt noch mal nicht, dass jemand, den ich noch nicht einmal kenne, über mein Leben verfügt. Wie ich mich verhalten muss, woran ich glauben soll. Ich will selbst entscheiden, mein Vater will selbst entscheiden, Norwegen will selbst entscheiden. Was ist so schlecht an diesem Land, dass man es verformt und verbiegt, dass es wie jedes andere Land in Europa wird? Warum sollen wir alle gleich sein und eine sogenannte globale Identität annehmen? Damit wir uns unser eigenes Land nicht mehr leisten können? Es hat schon seinen Grund, warum es Völker und Grenzen gibt. Unter dem Druck einer europäischen oder weltweiten Norm wird die Gesellschaft sowieso zusammenbrechen. Erst die Märkte, dann die Währung, dann die Gesellschaft. Und dann gibt es Krieg. Und erst, wenn alles in Trümmern liegt, können wir wieder das Norwegen sein, das wir waren. Dann kann jeder seine eigene Rolle in der Gesellschaft finden. Dann kann jeder das tun, was er will.«
»Aber wenn jeder das tut, was er will, wer soll dann den Müll entsorgen oder Busfahrer werden oder Bass spielen?«, sagte der Mandel.
»Das reguliert sich von alleine«, sagte Myklebust.
Der neue Dark-Reich-Song war schon seit ein paar Minuten verklungen, und der Mandel starrte durch das Seitenfenster hinaus in die vollkommene Dunkelheit. Es gab kein Wasser mehr, keine Wälder und keinen Himmel.
I’m wide awake, I walk this land.
Er erinnerte sich an einen Abend mit dem Herwig Rottmayr am Guggenberger Weiher. Der Badebetrieb war längst zum Stillstand gekommen, es war schon dunkel. Rund um den See brannten die Lichter von vereinzelten Lagerfeuern. Der Mandel und der Herwig waren sehr spät an den See gefahren und nach dem Baden eine Ewigkeit auf ihren Handtüchern sitzen geblieben und hatten ein paar Dosen Bier ausgetrunken, bis es dunkel geworden war.
»Wie wär’s, wenn wir uns jetzt einfach zu irgendwelchen Leuten ans Feuer setzen?«, hat der Herwig gefragt.
»Ich weiß nicht«, hat der Mandel gesagt. »Zu irgendwelchen völlig fremden Leuten?«
»Stell dir mal vor, wen wir kennenlernen könnten. Neue Leute, neue Weiber, neue Connections. Vielleicht den Türsteher vom Skala. Das ganze Leben könnte sich ändern, wenn wir uns da einfach irgendwo dazusetzen. Völlig neue Ausgangspunkte.«
»Im Ernst jetzt?«, hat der Mandel den Herwig ungläubig angeschaut.
»Logisch, Mändy. Wir müssen uns nur trauen.«
»Ich weiß nicht, ich bin schon recht betrunken. Nicht dass wir uns blamieren«, hat der Mandel gesagt.
»Schmarrn, Mändy. Schau, da drüben, das Feuer auf der Nordseite. Da müssen wir nur schräg hinüberschwimmen, dann können wir direkt vor den Leuten aus dem Wasser steigen und uns ans Feuer setzen. Das wird ein Riesenauftritt. Wie das Ungeheuer von Loch Ness kommen wir aus den Fluten. Siehst du das Feuer, das ich meine? Siehst du das Licht?«
»Ja, ich seh’s schon, Hörwi. Aber ich glaub, ich kann heut nicht mehr ins Wasser. Ist mir zu kalt. Ich geh dann außen rum, wenn du das wirklich machen willst. Ich komm nach«, hat der Mandel gesagt.
»Du leere Hos’n, Mändy«, hat der Herwig erwidert, hat sein T-Shirt ausgezogen und ist ins Wasser gesprungen. Der Mandel hat ihm zugeschaut, wie er hinübergekrault ist, immer näher auf eines der entfernten Feuer zu, und als er fast da war, ist der Mandel aufgestanden und gegangen. Weil sie mit dem Auto vom Herwig da waren, ist er per Anhalter nach Hause gefahren. Das war in dem Sommer direkt nach dem Abitur, und der Mandel hat länger nichts mehr vom Herwig gehört. Irgendwann wollte der Mandel mal wieder ins Skala gehen und hat schon von Weitem gesehen, dass der Herwig an der Tür stand. Als Türsteher. Da hat sich der Mandel umgedreht und ist nach Hause gegangen. Im Skala ist er danach auch nie mehr
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