Black Mandel
gewesen.
Der Mandel erkannte jetzt die Vorstadt von Bergen wieder und war erleichtert, weil es in der Stadt nicht so viel Wasser gab wie außerhalb. An einer Bushaltestelle hielt Myklebust den Ford Focus an, und ein Mann in einer dunklen Kapuzenjacke und einer dunklen Hose stieg hinten in den Wagen. Er hatte einen Rucksack dabei und legte ihn neben sich auf die Rückbank.
»Odin grüßt dich, Kaos«, sagte Myklebust.
»Und dich, Jörmungandr«, sagte Håvard und setzte die Kapuze ab.
»Kaos?«, sagte der Mandel, und wenn er überrascht war, dann ließ er sich das nicht anmerken.
»Kaos«, sagte Håvard.
»Du spielst Gitarre?«, fragte der Mandel.
»Ja«, sagte Håvard. »Schon lange.«
»Woher kennt ihr euch?«, fragte der Mandel.
»Raske hat uns vorgestellt«, sagte Myklebust. »Kaos’ Bruder war ein guter Freund von Raske. Er war der erste Kaos.«
»Der erste Kaos?«, fragte der Mandel nach.
»Er wurde wegen einem Kirchenbrand in Lillehammer verhaftet und hat sich umgebracht. Er war ein Aussätziger für die Leute«, sagte Håvard.
»Hm«, machte der Mandel.
Myklebust steuerte den Wagen zum Parkplatz des Fantoft-Studentenhostels. Es gab dort eine überdachte Sektion, da parkte er den Ford Focus. Er reichte Håvard die Döschen mit der Schminke und eine Plastikflasche mit stillem Mineralwasser, um aus der harten Masse eine Paste zu machen. Håvard rieb sich das Gesicht mit der weißen Farbe ein, bevor er seine Augen mit den Fingern schwarz umrandete und sich ein umgedrehtes Kreuz auf die Stirn malte. Danach war Myklebust an der Reihe, der es etwas genauer nahm. Mithilfe des Rückspiegels und eines Pinsels zeichnete er auf die weiße Grundierung eine Art Zickzackmuster um seine Augen herum, das den Mandel ein wenig an das Make-up von Paul Stanley erinnerte. Es dauerte gute zehn Minuten, bis Myklebust fertig war. Dann reichte er das Schminkset an den Mandel weiter.
»Nein, danke«, sagte der Mandel, und ich glaube, er war eingeschnappt wegen Håvard. Weil er jetzt nicht mehr mit Myklebust allein war.
»Das dient auch zur Tarnung, falls uns jemand sieht«, sagte Håvard. Der Mandel machte eine abweisende Bewegung mit der Hand, und Myklebust verstaute das Schminkset und das stille Wasser wieder in der Sporttasche. Dann stiegen sie aus. Die beiden Geschminkten sahen gefährlicher aus, als der Mandel sich das gedacht hatte, mitten in der Nacht in der spärlichen Beleuchtung auf dem Hostel-Parkplatz. Vor allem Håvard mit seinem biederen Kurzhaarschnitt machte dem Mandel Angst.
»Es hat aufgehört zu regnen«, sagte der Mandel, aber niemand reagierte darauf.
Myklebust öffnete den Kofferraum. Er nahm die beiden Plastiksäcke in die Hand und reichte einen davon Håvard. Den Weg, den die drei dann gingen, kannte der Mandel, er war ihn selbst vor ein paar Tagen mit mir gegangen. Es ist natürlich nicht so, dass der Mandel jetzt erst begriff, wie sich Myklebust das Finale der Wilden Jagd vorgestellt hatte. Spätestens seit er den Grundriss der Fantoft-Kirche in dem Gitarrenkoffer gefunden hatte, wusste der Mandel Bescheid. Warum er trotzdem bis hierher ohne Murren mitgekommen war, verstehe ich immer noch nicht. Wer weiß, was die Nahtoderfahrung in seinem Kopf angerichtet hat.
»Bewacht niemand die Kirche?«, fragte der Mandel.
»Nicht mehr. Ein paar Jahre nach dem ersten Brand gab es hier einen Wachschutz, aber jetzt hält man Kirchenbrände wohl endgültig für passé«, sagte Myklebust.
Obwohl die Kirche noch nicht in Sichtweite war, reflektierte der Nachthimmel schon das schwefelgelbe Licht der Scheinwerfer, die als Nachtbeleuchtung dienten. Myklebust blieb stehen und sah auf die Uhr.
»Warte«, sagte er und schaute den Mandel feierlich durch seine kunstvoll aufgetragene Leichenschminke an. Dann wurde es plötzlich von einer Sekunde auf die andere stockfinster. Zwei Taschenlampen gingen an, und Myklebust marschierte weiter, als wäre nichts passiert.
»Um zwölf schalten sie immer das Licht aus«, erklärte Håvard.
An der Weggabelung, wo der Mandel eigentlich instinktiv links abgebogen wäre, gingen sie nach rechts eine kleine Anhöhe hinauf. Dort standen sie dann und blickten auf die schwarze Silhouette der Stabkirche hinunter, die ihnen zu Füßen lag. Nachts sah sie immer noch aus wie eine Hintergrundgrafik aus einem Rollenspiel. Nichts taugt weniger als christliches Symbol als so eine World of Warcraft -Kapelle, dachte sich der Mandel. Vorsichtig stiegen sie den Abhang hinunter. Die Erde war
Weitere Kostenlose Bücher