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Black Mandel

Black Mandel

Titel: Black Mandel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berni Mayer
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Kniescheiben. Ein Wunder biblischen Ausmaßes, wie man es als Kind ausgehalten hat, eine Dreiviertelstunde am Stück zu knien, wenn der Gneissel die Gemeinde wieder mal dazu gezwungen hatte, weil sie in der zurückliegenden Woche nicht so zahlreich wie erwünscht zu der Bus-Wallfahrt nach Altötting erschienen war. Oder er war ganzjahresverärgert wegen den vielen Betrunkenen bei der letzten Fahnenweihe. Kniend in der vorletzten Reihe blickte ich nach vorne zum Altar. Irgendwoher erklang so etwas wie eine Panflöte. Vielleicht aus der Sakristei. Die Sakristei ist so etwas wie der Backstage-Raum für den Pfarrer und seine Ministranten, falls jemand fragt. Die Flötenmelodie im Zusammenspiel mit dem Kerzenlicht machte mich schläfrig. Ich hätte gerne ein paar Minuten in dem weichen Licht die Augen zugemacht, wäre nicht in diesem Moment aus der Sakristei ein Konvoi von sechs kleinen Mädchen in weißen Kleidchen gekommen und hätte angefangen, über die Flötenmelodie einen hellen Satzgesang zu legen. Ich verstand nicht, was sie sangen, aber es klang himmlisch, anders kann man es nicht beschreiben. Als Beach-Boys-Fan konnte ich die Präzision des mehrstimmigen Satzes durchaus beurteilen, es waren ein paar ausgezeichnete Akkorde dabei. Die Mädchen sahen mich während des Gesangs erwartungsvoll an, als säße ich in einer Jury. Ich war bedröhnt von dieser meditativen Situation, als jemand von hinten seine Hand auf meine Schulter legte und mir etwas ins Ohr flüsterte. Ich dachte instinktiv sofort an den Gneissel, aber der Gneissel war ja längst tot. Es war ein Priester, das sah man an den lakenhaften Gewändern, und er flüsterte mir etwas ins Ohr, was ich nicht verstand. Es klang unheimlich, wie eine Drohung. Ich fühlte mich unerwünscht und ging durch das Portal zurück in den Regen, während die Mädchen weitersangen.

10: UTGANG
    Der Mandel, und das weiß ich, weil er es mir im Nachhinein erzählt hat, hat die Adresse, die ihm Raske gegeben hat, in das Navigationsgerät eingetippt und ist von Bergen aus eine halbe Ewigkeit mit dem Auto gefahren. Hätte der Mandel sich besser informiert, hätte er gewusst, dass er wieder zum Hardangerfjord zurückmusste. Aber im Gegensatz zu mir macht es dem Mandel nichts aus, eine Strecke zweimal zu fahren. Im Gegenteil. Dass die Gegend, durch die man fährt, einen nicht mehr ablenkt, weil man sie schon kennt, ist doch der größte Luxus, sagt er. Spart man sich eine Stunde Meditieren oder eine anstrengende Yoga-Übung. Die Fahrt reduziert sich auf die reine Fortbewegung, das ist die unangefochtene Entspannung, sagt er.
    Der Ort, zu dem der Mandel wollte, nannte sich Fykse, und auf dem Weg dahin überquerte er eine hohe und schmale Brücke an einer engen Stelle des Fjords. Fyksesund Bru – 1937 war in die Brücke eingemeißelt, aber die Schrift war kaum noch lesbar. Nahezu mitten auf der Brücke befand sich eine Ampel, die auf Rot schaltete, als der Mandel kam. Er stand eine Minute an der Ampel, bis sie wieder umschaltete. Ohne dass auch nur ein Auto entgegengekommen war. Nach der Brücke gelangte der Mandel in eine Ortschaft, die aus höchstens fünf einstöckigen Holzhäusern bestand. Zwei davon lagen dicht beieinander und waren karminrot und königsblau angemalt. An dem blauen der beiden Häuser hing ein Schild mit der Aufschrift Fykse Gardsrestaurant . Ich habe es nachgeschlagen, ein Gardsrestaurant ist so etwas wie ein Bauerngasthof. Dicht über dem Haus verliefen drei tief hängende Stromleitungen, die in einem sonderbaren Kontrast zu den Felsen und dem Wald dahinter standen, als wäre das Land hier gerade erst notdürftig von mutigen Pionieren bevölkert worden. Den beiden Häusern vorgelagert war ein nicht eingezäunter Garten, der matschig und ungepflegt aussah. Reifenspuren reichten bis an die Häuser heran, und vor dem blauen Haus parkte ein schwarzer, relativ neuer VW -Bus. Der Mandel stellte den Ford Focus am Straßenrand ab, mit zwei Reifen auf dem Vorgarten, ging zu dem Haus mit dem dunkelblauen Holz und der hellblauen Tür und klopfte. Ein älterer Mann öffnete ihm. Er trug einen grauen Vollbart, eine randlose, eckige Brille und hatte schütteres Haar. Er sah ein bisschen aus wie ein kraftloser Steven Spielberg.
    »Herr Myklebust?«, fragte der Mandel.
    »Wir haben erst abends wieder geöffnet«, sagte der Mann in passablem Englisch.
    »Das ist kein Problem. Ich suche Ihren Sohn, Anders Myklebust«, sagte der Mandel, der den Namen kurz vorher noch auf dem

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