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Black Mandel

Black Mandel

Titel: Black Mandel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berni Mayer
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Gelernter bricht auch nicht so schnell in Schweiß aus, wobei der Mandel immer sagt, das ist genetisch, ob einer schwitzt.
    »Und du wohnst hier bei deinen Eltern?«, fragte der Mandel.
    »Bei meinem Vater. Meine Mutter ist schon vor Jahren gestorben.«
    »Das tut mir leid«, sagte der Mandel.
    »Das muss es nicht. Sie ist selbst schuld.«
    »Selbst schuld?«
    »Sie hat sich umgebracht«, sagte Myklebust.
    Das hat dem Mandel jetzt sicher zu denken gegeben, jedenfalls hat er eine Weile nichts mehr gesagt, sondern nur an seinem Kaffee genippt und die Instrumente in der Höhle angestarrt. Irgendwann kamen die anderen beiden Bandmitglieder hereingekrochen.
    »Herr Mandel, darf ich dir Grimnir vorstellen?«
    Myklebust deutete auf einen schmächtigen Buben mit pechschwarz gefärbter Langhaarfrisur. Mittelscheitel. Er hatte eine sichelförmige Narbe auf der linken Gesichtshälfte.
    »Hallo«, sagte der Mandel, und Grimnir sagte nichts.
    »Und das ist Neofenrir«, sagte Myklebust und zeigte auf einen dicken Mann mit einer Glatze und den furchterregendsten Koteletten, seit Elvis dick war.
    »Du bist doch auch der Schlagzeuger von Dark Reich, oder? Nergal?«, bemerkte der Mandel sofort.
    »Das ist nur ein Nebenjob«, sagte Nergal/Neofenrir. »Es wäre mir ganz recht, wenn du das weder in deiner Reportage noch sonst irgendwie erwähnst. Abbadon könnte das in den falschen Hals kriegen.«
    »Kein Problem«, log der Mandel.
    Ich finde das unglaublich, dass jetzt sogar noch jemand auftaucht, der zwei Fantasie-Identitäten hat. Also insgesamt einen Vornamen, einen Nachnamen und zwei Fantasienamen. Macht vier Namen, einer unaussprechlicher als der andere. Und am Ende müsste man sich noch alle Namen merken, damit man weiß, von wem die Rede ist.
    »Dann können wir ja jetzt endlich los«, sagte Myklebust, und während sie sich durch den Spalt in den vorderen Raum aalten, fragte sich der Mandel erneut, wie die Bassdrum in die Höhle gekommen war. Er folgte den Utgangs hinunter zum Gasthof, wo sie in einen älteren silbernen BMW Touring stiegen, der vor dem karminroten Haus parkte. Während der Fahrt saß der Mandel mit Myklebust hinten, während Neofenrir den Wagen lenkte und Grimnir auf dem Beifahrersitz in einem Magazin las.
    »Wieso weiß eigentlich keiner, wer ihr seid?«, fragte der Mandel.
    »Weil Utgang keine bürgerlichen Merkmale tragen darf. Namen sind nur ein Stigma der Gesellschaft. Utgang sind Antibürger. Wir sind herausgelöst aus der norwegischen, ja aus jeder Gesellschaft. Wenn wir Musik machen, schaffen wir etwas Neues, dann existieren wir nicht mehr innerhalb des alten Systems. Wir existieren dagegen «, sagte Myklebust.
    »Und warum dagegen?«, fragte der Mandel, und so naiv kann wirklich nur der Mandel fragen und ungestraft davonkommen. Das hat ihm als Musikjournalist auch immer geholfen, weil er selbst auf die fundamentalsten und abgekautesten Fragen, die sich schon längst keiner mehr zu fragen traute, noch Antworten bekam.
    »Weil sich die norwegische Gesellschaft in ihrer jetzigen Form von ihrem Ursprung zu weit entfernt hat. Von einem Zusammenhalt, von einer gemeinsamen Tradition ist längst nichts mehr zu spüren. Es ist ein Wetteifern und eine Missgunst in ihr ausgebrochen, und das hat die alte Zivilgesellschaft von Grund auf zerstört. Kennst du das Jantegesetz?«, fragte Myklebust.
    »Nein«, sagte der Mandel.
    »Auf Norwegisch heißt es Janteloven. Es beschreibt den Einfluss der Gruppe, den sie gegenüber dem Einzelnen ausübt, der nicht als Leistungsträger agieren kann, weil er der Gruppe nicht überlegen sein darf. Niemand darf mehr eine überragende Leistung erbringen, weil ihn die Gruppe dafür ächtet, dass er sich mit seinen Leistungen über den Durchschnitt hinweggesetzt hat. Deshalb kann man in Norwegen auch beim Amt einsehen, was der andere verdient. Sogar im Internet steht es für ein paar Wochen jedes Jahr.«
    »Die Neidgesellschaft gibt es doch überall«, sagte der Mandel.
    »Hier ist es schlimmer. Dabei basiert jede Gesellschaft auf den herausragenden Leistungen Einzelner. Doch seit Olaf Tryggvason, also Olaf der Erste, uns ins Christentum hineingefoltert hat, sind wir, die wir einst Wölfe waren, zu Schafen geworden. Unter dem Joch der Staatskirche sind unsere Fantasie und unsere Achtung voreinander verloren gegangen. Statt der Natur ihren Lauf zu lassen, haben wir uns vereinnahmen lassen von dieser Idee, dass jeder gleich ist und jedem die gleiche Art von staatlicher Zuwendung zusteht.

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