Black Mandel
vorbeigekommen, kam Raske angerudert. Er trug einen schweren dunkelblauen Regenmantel und eine Wollmütze. Im Gegensatz zum letzten Treffen war er unrasiert.
»Guten Tag, Herr Mandel. Wie geht es Ihnen?«, sagte er auf Deutsch.
»Danke, gut«, sagte der Mandel, auch auf Deutsch.
»Wie läuft die Recherche?«, fragte Raske dann wieder auf Englisch.
»Gut«, sagte der Mandel.
Raske ruderte mit Myklebust und dem Mandel zu seinem Haus hinüber. Es regnete, und auf dem Boden des Bootes stand das Wasser. Der Mandel ärgerte sich, dass er vor dem Norwegen-Urlaub seine Lederstiefeletten nicht hatte imprägnieren lassen. Ich hätte mich an seiner Stelle geärgert, überhaupt einen so teuren und wenig wetterfesten Schuh mitgenommen zu haben.
Als der Mandel und Myklebust das Haus betraten, kam ihnen eine Frau, eher ein Mädchen, mit schwarz gefärbten Haaren und einem Lippenpiercing entgegen. Sie trug ein weites, ausgewaschenes schwarzes T-Shirt mit dem Logo der Band Venom, das vermutlich Raske gehörte. Darunter trug sie vielleicht gar nichts, man sah lediglich ihre nackten Beine. Sie sagte etwas auf Norwegisch zu Raske. Der antwortete auf Norwegisch, und sein Ton war schroff, ohne den üblichen Singsang. Sie sah beleidigt aus. Sie zog sich Gummistiefel und einen Anorak an und ging nach draußen.
»Du schickst sie bei dem Mistwetter nach draußen?«, fragte der Mandel.
»Was wir zu besprechen haben, geht sie nichts an«, sagte Raske und lächelte, als hätte er ihr einen Gefallen damit getan, sie mit nackten Beinen bei strömendem Regen und fünf Grad raus auf eine Insel zu schicken, auf der man nichts anderes tun konnte, als einmal ums Haus herumzugehen. Der Mandel schaute aus dem Fenster und sah, wie das Mädchen das Boot losmachte.
»Sie nimmt das Boot«, sagte der Mandel.
»Sie kommt zurück«, lächelte Raske und bedeutete dem Mandel und Myklebust, sich mit ihm an den schweren Holztisch zu setzen.
»Obwohl du sie so mies behandelst?«, fragte der Mandel, der Frauenrechtler.
»Die Frauen unterstützen uns gerne. Sie setzen sich jeglichem Schmerz freiwillig aus. Sie sind extremer, als wir Männer es jemals sein könnten. Wie sonst sollen sie Kinder bekommen? Sie kennen den Schmerz, und sie suchen ihn immer und immer wieder.«
»So einen Blödsinn habe ich selten gehört«, sagte der Mandel, und es war klar, dass Raske es ihm nicht nachtragen würde. Wehe, ich hätte das gesagt.
»Was machen wir denn jetzt wegen Dark Reich?«, fragte Myklebust.
»Was würdest du tun, Herr Mandel?«, lächelte Raske den Mandel an.
»Ich würde ihren Sänger entführen und kreuzigen und daraus ein Albumcover machen«, sagte der Mandel.
»Ich habe gerade das Video von eurer Website entfernt. In den Foren ändert sich die Meinung über Dark Reich. Es imponiert den Leuten, dass Baalberith und Dark Reich sich wehren«, sagte Raske zu Myklebust.
Die beiden wirkten auf den Mandel ein bisschen wie Chefredakteur und Volontär. Der Mandel beobachtete genau, ob er bei der Erwähnung von Baalberith irgendetwas in Raskes Gesicht lesen konnte, aber Raske hatte jede Faser unter Kontrolle. Eine Entgleisung seiner Gesichtszüge war praktisch unvorstellbar.
»Und, wie sollen wir reagieren?«, fragte Myklebust.
»Ich würde mit dem ursprünglichen Plan weitermachen. Der Effekt wird so groß sein, dass keiner mehr an dieses Video denkt«, sagte Raske.
»Ja, so sehe ich das auch. Wir sind zudem schon mitten in der Wilden Jagd«, sagte Myklebust.
»Ich hab’s in der Zeitung gelesen. Herzlichen Glückwunsch noch mal«, sagte Raske und stand auf. Er ging zu einem kleinen Schreibtisch und holte einen Zeitungsartikel, den er ausgerissen hatte.
Der Mandel erkannte das brennende Kreuz im Vorgarten der Bischöfin.
»Und gestern waren wir … «, wollte Myklebust sagen, aber Raske unterbrach ihn.
»In Troldhaugen. Es steht schon überall im Netz. Großartig.«
»Danke«, sagte Myklebust demütig, und der Mandel hätte ihm am liebsten auf den Hinterkopf gehauen und gesagt: Jetzt sei mal nicht so ein Hund gegenüber dem aufgeblasenen Raske!
»Nichts, was ihr ab jetzt tut, darf ein Rückschritt sein. Ihr müsst immer extremer werden«, sagte Raske.
Myklebust nickte andächtig, und der Mandel schüttelte den Kopf.
»Jetzt bist du neugierig, Herr Mandel, oder?«, sagte Raske.
»Nein«, sagte der Mandel, weil er nicht ein weiterer Claqueur von Raske sein wollte. Natürlich war er trotzdem neugierig.
»Willst du nicht nach Hause fahren, jetzt wo
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