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Black Mandel

Black Mandel

Titel: Black Mandel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berni Mayer
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zwei Minuten Rennerei hielt der Mandel inne und schaltete seine Lampe aus. Er hatte keinerlei Luft mehr zur Verfügung, und sein Atem ging pfeifend wie ein alter Teekessel. Eine halbe Minute lang sah er überhaupt nichts mehr. Er lauschte in den Wald hinein, aber kein Ton. Niemand war ihm gefolgt. Er schaltete die Lampe wieder ein und ging jetzt langsam von Skelettbaum zu Skelettbaum, um keine unnötigen Geräusche zu verursachen.
    Nach ein paar Minuten erreichte der Mandel tatsächlich die Straße am Fjordufer, ein paar Hundert Meter vor Fykse. Der Ford Focus stand immer noch unterhalb des Gasthofes, das konnte er schon aus der Entfernung sehen, weil in Fykse immerhin zwei Straßenlaternen brannten. Der Mandel schaltete die Stablampe aus. Er klopfte auf seine rechte vordere Hosentasche, um zu überprüfen, ob sein Autoschlüssel noch da war. Einigermaßen beruhigt ging er auf die beiden Holzhäuser der Myklebusts und den Ford Focus zu. Er schloss die Fahrertür auf, setzte sich hinters Lenkrad und wollte gerade den Schlüssel ins Schloss stecken, als die Beifahrertür aufgerissen wurde und er die geschminkte Fratze von Grimnir im Ford Focus hatte. Grimnirs Gesicht war unter der Schminke angeschwollen, seine Lippen waren aufgeplatzt, und sein Unterkiefer schien aus dem Gesicht herausfallen zu wollen. Er hielt dem Mandel das Gewehr an den Hals und sagte: »Fahr!« Und spätestens jetzt dürfte den Mandel ein wenig der Mut verlassen haben, denn wenn ein Tritt, der offensichtlich den gesamten Unterkiefer aus seiner Verankerung geholt hat, nichts hilft, dann war er mit seinem Latein am Ende. Der Mandel ließ den Motor an und fuhr los.
    »Links«, sagte Grimnir, als der Mandel rückwärts in die Straße hineinwendete.
    »Vorwärts oder rückwärts gesehen?«, fragte der Mandel, der jetzt keinen Fehler machen wollte.
    »In Richtung Bergen«, sagte Grimnir, und das klang eher wie Börgön , was höchstwahrscheinlich dem gebrochenen Unterkiefer geschuldet war. Der Mandel hat mal diesen vielversprechenden deutschen Boxer – Name vergessen – mit einem gebrochenen Kiefer boxen sehen, und nachher im Interview hat der Mann kaum ein Wort herausgebracht. Und wenn, dann hat er es sehr ö -lastig ausgesprochen. Grimnir schien zu schmunzeln, aber vielleicht war auch nur der Unterkiefer in eine ewige Schmunzelstellung verrutscht. Wer weiß, was der genommen hat, dachte der Mandel und lenkte den Wagen in Richtung Bergen. Er konnte sich noch deutlich daran erinnern, wie er vor ein paar Tagen über die alte Brücke gekommen war und sich da schon wegen der Ampel gewundert hatte. Mitten auf der Brücke stand diese eine rote Ampel, und der Mandel hielt brav an, obwohl kein Mensch und kein Auto weit und breit zu sehen waren. Im Nachhinein ärgert es ihn, dass er gehalten hat, denn Grimnir zog ihn jetzt am Arm über den Beifahrersitz nach draußen, nicht ohne das Gewehr auf den Kopf vom Mandel gerichtet zu lassen. Der Motor soff mit einem sanften Ruck ab, und es herrschte Ruhe. Eine allumfassende Ruhe, sodass das leise Surren der Ampel zur prädominanten Geräuschquelle wurde. Die Ampel schaltete auf Grün. Der Mandel und Grimnir standen alleine auf der Brücke über dem Fjord. Neben ihnen der Ford Focus an der grünen Ampel. Bis auf die Ampel war die ganze Welt ausgeschaltet. Grimnir, blutend, mit nacktem Oberkörper und Schminke, daneben der Mandel in seiner ramponierten Stoffhose, dem weißen Hemd und den Lederstiefeletten, ein Gewehr am Kopf. Das Surren der Ampel, und niemand bewegte sich. Dem Mandel fiel ausgerechnet jetzt ein alter Text von Død ein. In »Nordblod« wird der Anfang von einem Chor gesungen.
    Strange plains lay beneath
    Of what you think is real
    Otherworldly secrets
    Open to reveal.
    Cities left in ruins
    Spirits walk alone
    Blood begins to thicken
    High time to come home.
    Grimnir scheuchte den Mandel wortlos mit dem Gewehr zur exakten Mitte der Brücke, dort, wo der geschwungene Brückenbogen den Knick nach unten machte, sodass man ihn theoretisch über diese Stelle besteigen konnte.
    »Da rauf«, lallte Grimnir und deutete auf den Brückenbogen. Der Mandel ging einen Schritt nach vorne von dem Gewehr weg und stellte einen Fuß auf die unterste Stange von dem Brückengeländer. Er schaute auf das schwarze Wasser des Fjords, das schlimmstenfalls dreißig Meter unter ihm lag. Er hatte keine Ahnung, ob man so einen Sprung unbeschadet überstehen konnte, und selbst wenn, ob einem dann nicht das eiskalte Fjordwasser einen

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