Black Monday
gesehen hat, wie sie sich aus der Kirche geschlichen haben. Es wird ein Leichtes sein, ihren Spuren zu folgen. Sie sind Kinder, also nicht ausgebildet. Sie sind Amerikaner, also schwach.
Die Leute drängen sich um ihn, als er die Kirche durchquert, halten ihn auf, sagen: Was für eine wunderbare Predigt!
Endlich erreicht er den Haupteingang, vergewissert sich, dass ihn niemand beobachtet, geht hinaus und würde am liebsten laut losschreien.
Okay, sie sind hier draußen, er sieht, wie sie sich entfernen.
Zum Zoo, wie sie gesagt haben.
Sie sind ganz allein in diesem Schneesturm unterwegs, entschwinden immer weiter.
Aber auf Langlaufskiern!
Pastor Young ist jahrelang beim SAS ausgebildet worden, einer Abteilung der British Special Forces. Er weiß, wie man eine Wüste zu Fuß durchquert, wie man tagelang ohne Wasser überlebt. Er kann ein Messer gezielt werfen und einen Menschen auf die unterschiedlichste Weise mit Hilfe ganz normaler Küchengeräte töten. Er spricht vier Sprachen und kennt sich mit schwerem Gefährt aus. Er kann mühelos jede Schusswaffe der Welt zerlegen und wieder zusammenbauen.
Aber er kann nicht Ski laufen. Das hat er nie gelernt.
Pastor Young stolpert fluchend hinter den Kindern her, deren Vorsprung immer größer wird.
Zumindest sind ihre Spuren leicht zu verfolgen. Irgendwann werden sie langsamer, dann hole ich sie ein. Oder ich erwische sie auf dem Rückweg.
In und um Washington beginnt das Ende im Kleinen und auf vielfältige Art.
Ein Messer gezückt gegen einen Angehörigen. Ein Angestellter des Verteidigungsministeriums, der in der Cafeteria Brot stiehlt, während draußen Soldaten die Menge in Schach halten. Regierungsangestellte, die nach der Evakuierung ihrer Vorgesetzten Öl aus den Heizkesseln des Finanzministeriums und Benzin aus den Tanks von Limousinen aus dem Fuhrpark des Weißen Hauses absaugen.
Die Bewohner der Zone A – die bis vor wenigen Stunden geschützt waren – verriegeln ihre Türen, verstecken ihre verbliebenen Lebensmittel, bewaffnen sich mit Gewehren, Baseballschlägern, Fleischermessern, hoffen, dass die Wachleute, denen sie Brot und Lohn geben, immer noch in ihren Eingangshallen sitzen und Mut beweisen werden, falls es zum Kampf kommt.
Keine Zonen mehr, Leute, hat der Präsident verkündet.
Die neue Normalität heißt jetzt Pandämonium.
Und »knappe Vorräte« das neue Gesetz.
Schon sind sie im Anmarsch, lassen sich selbst vom Schneesturm nicht aufhalten: Die Gerissenen, die Wütenden, die halb Verhungerten strömen über die Calvert Street Bridge an den verlassenen Barrikaden vorbei.
Sollen die anderen sterben, wir wollen leben.
Die prächtige Stadt auf dem Hügel löst sich in ihre Einzelteile auf.
In der Connecticut Avenue steht Gordon Dubbs am Fenster und sieht Rauch aus den Schornsteinen in der Marion Street steigen, was bedeutet, dass die da drüben es schön warm haben. Teddie, sein williger Schüler, steht neben ihm.
Der Kriegsherr und sein Sohn.
In ihrem Haus herrscht eisige Kälte, die Bewohner murren, die Rohre frieren ein. In den Internetblogs – wenn es Strom gibt – wird berichtet, dass die ganze Stadt in Flammen steht und der Präsident verschwunden ist, dass die Wissenschaftler mit ihrem Latein am Ende sind und die Soldaten scharenweise Fahnenflucht begehen. Eine neue Ära ist angebrochen.
Ist das der richtige Zeitpunkt, um die Marion Street anzugreifen, um das Heizöl zu erbeuten?
Der Darwinteufel flüstert in Gordon Dubbs' Ohr, provoziert ihn mit seinem Lobgesang auf die Evolution. Der Stärkere überlebt, Gordon. Wer ist stärker? Du? Oder die? Oder jemand anders in diesem Gebäude, der mehr Schneid hat als du?
Kann ich diese Grenze wirklich überschreiten?, fragt er sich.
Du hast sie schon überschritten, als du den alten Mann getötet hast. Du musst deinen Leuten beweisen, dass du stark bist.
»Dad?«, sagt sein Sohn. »Hörst du mir zu? Basil sagt, in den U-Bahn-Tunneln gibt es jede Menge Muschis. Er meint, wir sollten uns da unten ein paar Weiber besorgen.«
Gordon betrachtet die rauchenden Kamine.
Ja. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, zum Angriff zu blasen.
Er nimmt sein Handy, wählt Gail Hansens Nummer und sagt ihr, sie soll rüberkommen, er hätte gerade eine Lieferung Wodka bekommen.
Der Amtrak Patriot läuft tatsächlich pünktlich um 14 Uhr in der Union Station ein, Washingtons großartigem weißen Marmorpalast.
Die Passagiere applaudieren. Die wenigsten haben es überhaupt für möglich
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