Black Monday
anderen entgehen.«
Gerard legt den Hörer auf und blickt in die Runde, in Gesichter, die noch am vergangenen Abend fröhlich waren und jetzt angespannt, blass und verängstigt wirken. Normalerweise sieht er sich mit den Nachbarn hier unten die Spiele der Redskins an. Heute ist der Fernseher auf Les' Sender eingestellt. In Kairo sind Aufstände ausgebrochen, nachdem die Muslim-Bruderschaft den Stopp des Ölflusses als Strafe Allahs bezeichnet und zum Umsturz des Regimes aufgerufen hat.
»Die Aufstände scheinen koordiniert zu sein«, sagt der Nachrichtensprecher, ein Ersatzmann. Der reguläre Sprecher konnte seinen Arbeitsplatz nicht erreichen.
Auf dem Bildschirm erscheint ein Satelliten-Wetterbild, auf dem man einen gewaltigen Wirbelsturm erkennt, der vom Atlantik her zur Küste von Florida unterwegs ist. Schwarze Punkte bezeichnen ein halbes Dutzend Schiffe, die infolge des Orkans gesunken sind, nachdem die Motoren nicht mehr liefen. Anschließend wird ein Foto eingeblendet, zu sehen ist eine Ansammlung kleiner Blockhütten hinter einem Stacheldrahtzaun, während ein Mann mit seiner Schrotflinte vor der Kamera herumfuchtelt. Die Bildunterschrift lautet: SURVIVALISTS IN IDAHO BEREIT.
Der Keller ist klein, mit Holzpaneelen verkleidet und mit Polsterstühlen und Sofas möbliert. Auf dem Tresen stehen Krüge mit Wasser und Orangensaft. An den Wänden hängen Familienfotos: Ferien am Strand von Rehoboth, die Kinder als Babys, die Hochzeitsreise von Gerard und Marisa, Gerard im Dschungel bei der Bekämpfung einer Epidemie. An den Fotos lässt sich die normale Entwicklung einer Familie ablesen: Paulos Fußballpokale, Annies Auszeichnungen für ihre Arbeit im Zoo, Marisa als Ski-Champion an der Uni, Gerard als junger Navy-Soldat neben dem stolzen Wilbur Larch, durch dessen Empfehlung er zur militärischen Ausbildung gelangt war.
Gerard hat jahrelang bei Epidemien in Zaire, auf den Philippinen, in Gabun und Brasilien Sitzungen geleitet und verängstigte Menschen beraten, wie sie sich verhalten können.
Jetzt leitet er eine solche Sitzung in seinem eigenen Haus.
Er erklärt den Nachbarn, was im Weißen Haus vor sich geht und dass sie einen Plan für das Viertel brauchen, um die nähere Zukunft sicher zu überstehen.
Er rät ihnen, die Lebensmittel zu rationieren und aufzuteilen, und zwar am besten ab sofort. Wie sie nächtliche Patrouillen organisieren können, »für den Fall, dass die zivile Ordnung zusammenbricht«.
»Ist das nicht ein bisschen paranoid?«, fragt Julie Dent, eine der »Sirenen«, ein Stewardessen-Trio von American Airlines, das sich im kleinsten Haus der Straße eingemietet hat.
»Es kann nicht schaden, auf Nummer sicher zu gehen«, entgegnet Gerard.
Er bittet die Familien, sich mit Handzeichen zu melden. Wer hat zu Hause ein Mikroskop, vielleicht als Teil eines Wissenschaftsbaukastens der Kinder? Paulo hat eins. Falls das Benzin in einem Auto verseucht sei, erklärt Gerard, werde man bis zum nächsten Tag selbst unter einem schwachen Mikroskop Hinweise dafür finden, da das Wachstum der Mikroben ausgesprochen schnell vor sich gehe.
»Dann wissen wir, welche Autos wir noch benutzen können, bis der Tank leer ist.«
Gerard fragt, ob irgendwer ein Auto besitzt, dessen Tank nicht erst kürzlich befüllt wurde. Dieses Auto müsse eigentlich funktionieren. Damit solle man zu Safeway fahren und Vorräte besorgen. Paulo ist schon am Morgen um acht mit dem Fahrrad dort gewesen, und der Filialleiter hat ihm gesagt, er habe seine Angestellten telefonisch angewiesen, mit der U-Bahn zur Arbeit zu kommen. Der couragierte Filialleiter will den Laden um elf Uhr aufmachen.
Bob Cantoni meldet sich zögernd. »Wir haben unseren Suburban seit einem Monat nicht mehr benutzt. Aber Joanna und ich haben uns überlegt, die Kinder in den Wagen zu laden und in unser Landhaus in der Nähe von Winchester zu fahren. Wenn's hart auf hart kommt, kann man vom Land leben.«
Les Higuera bekommt einen Lachanfall.
»Vom Land leben? Du könntest doch noch nicht einmal eine Tomatenpflanze ziehen, wenn du eine Tüte Samen hättest«, prustet er.
Bob betrachtet seine Wampe, die ihm über den Gürtel quillt. »Stimmt. Nach einer Woche würde ich verhungern. Also gut, fahren wir zu dem Laden.«
Der Pastor ergreift das Wort. »Sollte sich das Problem bis zum Winter hinziehen, wird die Kirche sicherlich mit Heizöl versorgt werden.«
»Ich kann ja die Kinder hier bei uns unterrichten«, schlägt Marisa vor, »bis die Schule
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