Black Monday
zusammengetrommelt«, sagt Les über die Schulter. »Alle sind bei euch zu Hause, um zu beraten, was zu tun ist.«
Gerard hat den Eindruck, dass sie nur langsam vorankommen. In beiden Richtungen sind Radfahrer unterwegs, viele mit dem Ohr am Radio. Gerard fühlt sich an den Stoßverkehr in chinesischen Städten erinnert. Die Geschäfte sind geschlossen. Ebenso der Van-Ness-Campus der Columbia-Universität. Gerard bemerkt einen SUV an einer Tankstelle und erkennt am goldenen Logo, dass es sich um einen Laborwagen der Georgetown University handelt. Offenbar ist er im Zuge des Programms zur Bekämpfung biologischer Anschläge unterwegs. Zwei Gestalten in Schutzanzügen – die hinter einer Zapfsäule hervorkommen – sind wahrscheinlich Techniker, die Kraftstoffproben entnehmen. Die Anzüge schützen vor Ansteckung, für den Fall, dass die Mikroben für Menschen gefährlich sein sollten.
Kommen Menschen als Überträger in Frage?, denkt Gerard.
Es müssen Teams von Tankstelle zu Tankstelle gehen und überprüfen, wo das Benzin verseucht und wo es noch brauchbar ist.
»Die Ansprache des Präsidenten ist auf halb zwölf verschoben worden«, sagt Les. »Das Weiße Haus hat angekündigt, dass sich das Ölproblem möglicherweise einen Monat lang hinziehen wird. Ist da was dran?«
»Es könnte auch noch viel länger dauern.«
Mehr Menschen als gewöhnlich sind in den ruhigen Straßen unterwegs. Andere liegen in den Fenstern und blicken ängstlich oder verwundert auf die Straße. Es werden die Überängstlichen und die besonders Intelligenten sein, die als Erste das reale Ausmaß der Gefahr begreifen, egal wie beschwichtigend die Rede des Präsidenten ausfällt.
An der Ecke Albermarie Street und Connecticut Avenue entdeckt Gerard einen kleinen Menschenauflauf vor dem 7-Eleven, wo er meist seinen Kaffee kauft. Aus dem Laden strömen die Leute mit vollgepackten Einkaufstüten: Lebensmittel, Toilettenartikel, Taschenlampen, Bier.
Noch herrscht keine Panik. Man stellt sich auf die Situation ein. Trotz der gespannten, erwartungsvollen Atmosphäre herrschen Ruhe und Ordnung.
Die Connecticut Avenue steigt steil an, was Gerard bisher nie aufgefallen ist. In der Fessenden Street radeln sie auf eine Ansammlung von Menschen zu, die sich an den offenen Hecktüren eines liegengebliebenen Kühltransporters zu schaffen machen. Beim Näherkommen erkennt Gerard das Logo der Safeway-Kette auf dem Wägen, der offenbar den anderthalb Kilometer entfernten Supermarkt auf der Chevy Chase beliefern sollte. Auf der Ladefläche wird geschubst und gedrängelt, aber es geht friedlich zu. Einige springen herunter und laufen mit rohen Fleischstücken nach Hause.
Geht es jetzt schon mit den Plünderungen los?
Unter den Leuten entdeckt Gerard auch Gordon und Teddie Dubbs, die eine Kühltasche zwischen sich tragen. Officer Danyla ist ebenfalls da, allerdings in Zivilkleidung. Sie kann das Treiben nur hilflos beobachten. Gordon erblickt Gerard und wirft ihm einen durchdringenden Blick zu, bevor er sich abwendet.
»Der Fahrer meinte, sie könnten die Lebensmittel mitnehmen«, erklärt Danyla Gerard. »Das Zeug würde sonst nur vergammeln. Die Kühlung funktioniert nicht, wenn der Motor aus ist.« Aber die Polizistin ist besorgt. Sie befürchtet, dass beim nächsten Mal, wenn ein Transporter liegenbleibt, niemand die Erlaubnis des Fahrers abwartet.
Hinter dem Lastwagen steigt die Straße erst an und fällt wieder ab, sie fahren durch baumgesäumte Straßen mit Geschäftshäusern und Wohnblocks und passieren die Einmündung der Nebraska Street. In diesem Viertel wohnt Gerard. An der Seniorenresidenz »Sunrise Assisted Living Home« sitzen die Bewohner auf der Veranda, den Blick auf die Connecticut Avenue gerichtet. Das Tor der Feuerwache steht offen, und eins der beiden Löschfahrzeuge fehlt.
Zum ersten Mal fällt Gerard auf, dass es sich bei drei von einem Dutzend Läden in diesem Block um Tankstellen handelt.
Nur St. Paul's lutherische Kirche ist geöffnet, und Gerard sieht ein paar Leute hineingehen.
»Hier in der Gegend war es nicht mehr so ruhig, seit Fort Reno auf diesem Hügel stand«, bemerkt Les in Anspielung auf die größte Signalstation der Haupstadt zu Zeiten des Bürgerkriegs, die sich an der jetzigen Ecke Connecticut und Nebraska Avenue befand, wo bei Alarm rote Flaggen gehisst wurden. Heute wären sie wahrscheinlich auch gehisst.
Kurz bevor sie in die Connecticut Avenue einbiegen, bemerkt Gerard die offene Tür seines
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