Black Monday
wurden. Angetrunkene Passagiere seien dabei, die Lagerräume für Alkoholika im Starlight Nightclub aufzubrechen und sich beim Schein von Feuerzeugen über den Scotch herzumachen.
Der Kapitän hat offenbar angeordnet, die Rettungsboote klarzumachen. Aber niemand weiß, wie sie bei dem Sturm von Hand gewassert werden können.
Im Hintergrund schreit jemand: »O Gott, wir rollen auf sechzig Grad! Vorsicht, Riesenwelle!«
Ein Mann brüllt: »Mutter!«
Dann hört man nur noch Rauschen. Und der Mann von der Küstenwache, der die Frage wiederholt: »Können Sie mich hören?«
Gerard schaltet den Fernseher ab und versucht sich zu konzentrieren. In den vergangenen zwei Stunden hat er seine Koffer gepackt und Marisa dabei geholfen, eine Einkaufsliste zu erstellen. Batterien. Tiefkühlgemüse. Brot. Verbandsmaterial. In seinem Arbeitszimmer studiert er eingehend die Akten über die »merkwürdige Mikrobe«, während er auf die Ankunft des Transporters aus Fort Detrick wartet. Er bemüht sich, den pochenden Schmerz in seinem Kiefer zu ignorieren, wo ihn eine Frau im Gewühl des Supermarkts mit einer Packung Tiefkühlfleisch getroffen hat. Die Wunde schmerzt, ist jedoch sauber. Marisa hat sie mit Alkohol desinfiziert. Eine kleine Platzwunde, nichts Schlimmes.
Die ganze Szenerie hat mich an die Bandenkriege in meiner Jugend erinnert. Die Leute benutzen alles als Waffe, was sie in die Finger kriegen.
Er muss an die erwachsenen Männer denken, die wütend Schläge ausgeteilt haben, während er und Bob Cantoni den Filialleiter von Safeway in Sicherheit brachten, und daran, wie Gordon und Teddie Dubbs sich mit prall gefüllten Einkaufstüten davonmachten.
Einige von Washingtons Spitzenanwälten und Politikberatern haben den Laden fluchtartig verlassen, die Arme voller Spaghettipackungen und Cornflakesschachteln. Genau wie meine Kumpels damals weggerannt sind, kaum dass die Polizei aufgekreuzt ist.
Gerard wendet sich wieder den Texten zu, Büchern und Artikeln aus CDC-Zeitschriften, Wissenschaftsmagazinen, sogar Ausgaben des National Geographic, die unter seiner Schreibtischlampe gestapelt sind.
Vielleicht finde ich ja irgendwo einen Hinweis.
Er betrachtet Fotos von erst kürzlich entdeckten Bakterien, deren Existenz noch vor zehn Jahren von der Wissenschaft für unmöglich gehalten wurde.
»Deinococcus radiodurans in Dosenfleisch entdeckt«, liest er. »Der Kokkentypus überlebte Strahlungsdosen, die bisher alle Bakterien vernichtet hatten. Dieser zähen Kämpfernatur gelang es sogar, ihre Genome wieder zusammenzuflicken – sie hat sich sozusagen selbst repariert –, nachdem aufgrund der Bestrahlung die Zellmembran zerstört war.«
Er blättert eine Seite weiter. »In einer holländischen Hefefabrik sind Ammonox-Bakterien aufgetaucht. Ihre Zellwände enthalten sackartige Taschen, die mit giftigem Hydrazin gefüllt sind, einer Art Raketentreibstoff. Stellt sich die Frage, warum das Gift die Bakterie nicht tötet. Dafür hat niemand eine Erklärung. Sie existiert nicht nur unter Bedingungen, die die meisten Bakterien vernichten würden, sie ernährt sich darüber hinaus von Ammoniak. Bis vor zehn Jahren war diese Bakterie völlig unbekannt. Neueren Forschungsergebnissen zufolge existiert sie überall im Meerwasser. Dieses ›unmögliche‹ Lebewesen gibt den Wissenschaftlern Anlass, die Funktionsweise des Stickstoffzyklus der Erde völlig neu zu überdenken.«
Gerard ist schon auf zahllosen Dinnerpartys in Washington Forschern begegnet – Akademiker, die nie miterlebt haben, welch qualvollen Tod Ebola-Opfer sterben –, die Bakterien als »Wunder der Natur« preisen. Gerard dagegen studiert Bakterien eher so, wie ein General sich mit Raketen beschäftigt. Statt zu Jugendgang-Zeiten gegen andere Menschen kämpft er nun gegen Bakterien.
Bakterien sind lebende Waffen, denkt er. Sie entwickeln sich weiter. Immer wieder finden sie einen Weg, plötzlich Millionen von Menschenleben auszulöschen. Aber meine Familie wird diesmal nicht dazugehören.
Die Art von Bakterien, mit denen Gerard sich beschäftigt, gehört nicht zu der nützlichen Sorte, die den Brauern bei der Herstellung von Bier oder den Käseproduzenten bei der Produktion von schärferem Cheddar hilft. Sie gehört zu der Sorte, die aus gesunden Menschen Blinde macht oder ein menschliches Gehirn innerhalb von zwei Tagen in Brei verwandelt.
Gerard blättert weiter, bis er auf eine Schlagzeile stößt: HITZERESISTENTE MIKROBEN ENTDECKT.
Aufgeregt liest er den
Weitere Kostenlose Bücher