Black Monday
schützen.
Gerards Patrouillenschicht endete um Mitternacht.
»Sind neue Leute aufgetaucht?«, fragt Marisa, die noch im Bett liegt, sie vermeidet das Wort »Flüchtlinge«.
Seine Gedanken wandern zu einem Mann, einer Frau und zwei kleinen Kindern, die gestern Abend durch den Regen gelaufen sind. Das Paar hat sich gestritten. Die Frau schimpfte: »Ich hab dir gesagt, wir hätten unsere Vorräte rationieren sollen!«, woraufhin der Mann giftig erwiderte: »Was denn rationieren? Du hast dir doch jeden Abend was bestellt. Wann hatten wir denn jemals Vorräte im Haus?!«
So ein Streit zwischen Mann und Frau wäre unter normalen Umständen nichts Besonderes gewesen. Ein kurzes Wortgefecht von der Sorte, die man von vielen Paaren kennt und in jeder Mall unfreiwillig miterlebt.
Gerard erzählt Marisa: »Sie sind aus Reston gekommen und hatten gehört, dass es im RFK-Stadion noch Schlafplätze gibt. Also sind sie mit der U-Bahn hingefahren, obwohl das Stadion längst überfüllt war. Der Mann hat mir tausend Dollar dafür angeboten, in der Marion Street bleiben zu können. Ich habe sie zu St. Paul's geschickt.«
»Du hast ihnen dein ganzes Abendessen gegeben, stimmt's?«
»Nein, das Erdnussbuttersandwich habe ich selbst gegessen«, flunkert er.
Jede Nacht kommen mehr Leute aus den Vororten in die Stadt. Weil sie da draußen von der Versorgung abgeschnitten sind. Ohne Auto geht dort gar nichts.
Er kleidet sich im Dunkeln an, um Energie zu sparen, Cordhose, wasserdichte Wanderschuhe, einen dicken irischen Pullover. Der Thermostat ist auf fünfzehn Grad Celsius eingestellt, um Heizöl zu sparen. Marisa zieht sich einen Frotteebademantel über den Flanellpyjama und dicke, wollene Skisocken an die Füße. Alle haben abgenommen.
Die morgendliche Dusche ist gestrichen, um Heizöl zu sparen.
»Tut mir leid, dass Hauser sich geweigert hat, sich mit dir zu treffen«, sagt Marisa.
Zumindest ist Gerard wieder bei seiner Familie. Während er Bargeld für die Lebensmittel einsteckt, überschlägt er im Kopf, was sie brauchen. Vom Vorjahr haben sie noch einen halben Tank Heizöl übrig, zusätzlich stehen ihnen gut hundert Liter aus Alice Lees Haus zur Verfügung. Alice ist bei ihnen eingezogen.
Alle außer Gail rücken enger zusammen, um Öl zu sparen.
»Greg? Denk dran, deinen Ausweis mitzunehmen. Und überprüf noch mal, ob alle Nachbarn ihre Vollmachten richtig ausgefüllt haben.«
Er gibt ihr einen Kuss. Sie weiß eigentlich, dass er bestens vorbereitet ist, aber es nimmt ihr etwas von der Anspannung, wenn sie sich selbst vergewissert, dass alles seine Ordnung hat.
Denn jeder, der nicht nachweisen kann, dass er im Umkreis von einer Meile von der Verteilstelle wohnt, geht heute leer aus.
Er riecht an sich immer noch den Sex der vergangenen Nacht. Das ist das einzig Gute daran, nicht duschen zu können. Von unten ist das leise Geräusch des Fernsehers im Wohnzimmer zu hören, und als er in der Tür erscheint, sitzt Alice Lee unter einer Steppdecke auf dem Velours-Teppichboden, die dünnen Arme um die Beine geschlungen, und sieht sich die Nachrichten an.
»Früher konntest du Nachrichtensendungen nicht ausstehen, Alice.«
»Jetzt kann ich gar nicht mehr aufhören. Es sind die Nachrichten, die mir nicht gefallen.«
Auf dem Bildschirm ist zu sehen, wie Soldaten einen Lastwagen mit Lebensmitteln vor einer Highschool in Los Angeles entladen. »Ein Versuchsprogramm für die Verteilung von Lebensmitteln wird heute auf Washington, Tampa und New Orleans ausgedehnt«, verkündet der Nachrichtensprecher. »Dieses Programm soll dazu dienen, die schrumpfenden Lieferungen zu schützen, die Versorgung zu garantieren und Kraftstoff zu sparen.«
Paulo schnauft leise auf dem Sofa, wo er neuerdings schläft, seit Alice eingezogen ist. Auf seinem Bauch liegt eins von Gerards Büchern, Bakterien, die die Welt verändert haben. Gerard quält das Gefühl, dass er versagt und den Jungen mit seiner Rückkehr von Fort Detrick enttäuscht hat. Paulos Vertrauen in die Fähigkeiten seines Vaters, Probleme zu lösen, hat gelitten, und auch seine Zuversicht, dass die Probleme sich überhaupt lösen lassen.
»CBS stellt jetzt seine Sendung ein«, erklärt der Nachrichtensprecher. »Schalten Sie um auf ABC, dort wird die Berichterstattung fortgeführt. Um zwölf Uhr mittags werden die Nachrichten schließlich von CNN übernommen. Wir sind dann um achtzehn Uhr wieder auf Sendung. Auf Wunsch des Präsidenten, der eine konzertierte Energiesparpolitik
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