Black Monday
fühlen.
»Was glotzt du so?«, schnauzt einer von ihnen. Er ist für Clayton nicht gefährlicher als ein kläffender Köter. »Los, gib uns das Fahrrad!«
In dem Augenblick hört Clayton Cox auf zu existieren, und an seine Stelle tritt Pastor Bartholomew Young. Er stellt das Fahrrad ab und geht zu Fuß. Im Moment zieht es ohnehin zu viel Aufmerksamkeit auf sich. In jeder Stadt mietet er zwei Wohnungen, und schon vor einer Woche hat er alles, was irgendeinen Wert besitzt, in Zone B verfrachtet. Schritt für Schritt verwandelt er sich in den Mann, dessen Name auf seinem neuen Ausweis steht. Seine Haare werden grau. Er trägt jetzt eine Brille. Er entfernt den Bart und geht langsamer.
Mittlerweile bedeuten mir Namen sehr viel.
5. Dezember. 38 Tage nach dem Ausbruch.
»Dr. Gregory Gerard, geben Sie sich zu erkennen! Achtung. Gregory Gerard! Stehen Sie auf!«
Die Gefangenen sind im Sportstadion der Universität Nevada untergebracht. Das Militärgericht tagt rund um die Uhr. Seit drei Tagen hockt Gerard auf einem Basketballfeld unter dem riesigen Monitor, in einem Meer aus Dieben, Plünderern und Vergewaltigern. Die meiste Zeit verbringt er im Schneidersitz, seine Muskeln schmerzen bereits vom Bewegungsmangel. Als er aufsteht, wird ihm schwindlig. Er hat nichts zu essen bekommen. Die Lautsprecheranlage ist zu weit aufgedreht. Rund um die Uhr gibt es dröhnende Durchsagen.
Die Soldaten haben meine Proben an sich genommen.
»Gerard?«, fragt eine Soldatin.
Die Frau deutet mit ihrer M-16 über Hunderte von Gefangenen in Handschellen hinweg auf das Ausgangsschild am Rand des Stadions. Auch die Tribünen sind vollbesetzt mit Gefangenen, stündlich treffen neue ein.
Aus den Lautsprechern plärrt es: »Den Gefangenen ist es verboten, miteinander zu sprechen. Bewegen Sie sich nicht von der Stelle. Wenn Sie zur Toilette müssen, geben Sie einer Wache ein Zeichen. Sie befinden sich im Gewahrsam der Armee der Vereinigten Staaten. Jeder Ungehorsam wird bestraft.«
Ein Mann springt schreiend auf die Füße. Sofort stürzen sich Wärter auf ihn. Man sieht Gewehrkolben auf- und niedersausen.
Wo sind meine Proben?, denkt Gerard.
Mit sanfter Gewalt vorwärts geschubst, geht er unter dem Basketballkorb hindurch in einen aus Hohlblocksteinen gemauerten Korridor, vorbei an langen Spindreihen. Vor einem Aufzug befiehlt die Wärterin ihm stehen zu bleiben. Dort warten auch schon andere Gefangene. Die Lampen über ihnen flackern. Das Stadion, so hat man den Gefangenen erklärt, verfügt über eigene Generatoren – also auch wenn der Strom ausfällt, gilt: Nicht bewegen!
Aus geflüsterten Gesprächen, die Gerard aufgeschnappt hat, weiß er, dass unter den Gefangenen auch Mitglieder von Motorradgangs sind, die sich geweigert haben, beschlagnahmte Harleys herauszurücken, Sträflinge aus dem städtischen Knast und Scharfschützen, die auf Soldaten geschossen haben. Offenbar ist der Nordwesten von Las Vegas zum Niemandsland geworden. Entsprechend sind die Soldaten nicht in der Stimmung, die Gefangenen mit Samthandschuhen anzufassen. Stattdessen führen sie sich auf, als hätten sämtliche Gefangenen auf sie geschossen.
»Raus aus dem Aufzug, du miese Ratte. Rechts um!«
Im Korridor des Verwaltungstrakts schlurft Gerard über einen beigefarbenen, mit Blutspritzern gesprenkelten Teppichboden. An den Wänden hängen Fotos von Basketballteams der Hochschule. Aber die Siegerfotos passen nicht zu der flehenden Stimme, die am Ende des Korridors zu hören ist. »Es war doch nur ein Sandwich! Ich hatte solchen Hunger! Ein erbärmliches Sandwich, mehr nicht!«
Gerard sieht sein Spiegelbild in einer Pokalvitrine, als seine Wärterin ihm mit einem Stoß in die Rippen befiehlt, vor einer Bürotür stehen zu bleiben.
»Geh rein, da drin sitzt dein Anwalt, du Arschloch. Ich warte hier draußen. Wenn du Dummheiten machst, kannst du was erleben.«
Der erschöpft wirkende Schwarze hinter dem Schreibtisch, der gerade ein paar Computerausdrucke überfliegt, trägt die zerknitterte Uniform eines Captain der U. S. Army. Auf seinem Namensschild steht EVANDER. Es riecht nach Tabakrauch. Der Aschenbecher quillt über. Draußen ist es dunkel geworden. Durch das Fenster sieht Gerard Feuerschein. Schwarzer Rauch steigt vor dem Mond auf. Blauweiße Lichtkegel von Suchscheinwerfern huschen über den Nachthimmel.
»Gregory Gerard?«, fragt Evander, ohne aufzublicken. Seine Stimme klingt erkältet.
»Was ist mit meinen Proben passiert?«
Gerard schätzt
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