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Black Rabbit Summer

Black Rabbit Summer

Titel: Black Rabbit Summer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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Zigarette in einem kleinen Blechaschenbecher aus. »Nicht
alles
ist Täuschung, Peter«, sagte sie leise. »Die Karten bedeuten natürlich gar nichts – sie sind nur Teil der Show. Manche Menschen wollen gern an sie glauben, so wie andere Menschen an Götter und Teufel und Wundergeschichten glauben.« Sie schwieg einen Augenblick und starrte nachdenklich ins Leere, dann schüttelte sie den Kopf, verscheuchte, was auch immer sie gerade gedacht haben mochte, und fuhr fort. »Aber ich
weiß
manches, Peter. Egal, was du glaubst oder nicht glaubst, ich
kann
Dinge sehen, die andere Menschen nicht sehen können. So verdiene ich mein Geld. So schaffe ich es, dass Leute an mich glauben.«
    »Was sind das für Dinge, die Sie sehen können?«, fragte |384| ich.
    Sie schaute mich an. »Einfache Dinge... zum Beispiel die Schlaflosigkeit in deinen Augen, die frische Wunde an deinem Kinn, die leichten Druckstellen an deinem Hals –«
    »Was ist mit Raymond?«, fragte ich. »Was haben Sie bei ihm gesehen?«
    Sie lächelte. »Ich habe an seiner Jacke im Schulterbereich Spuren von schwarzem Kaninchenfell gesehen.«
    »Und was hat Ihnen das gesagt?«
    »Dass er ein schwarzes Kaninchen besitzt... und dass er es gern dicht an sich hält.« Sie zuckte die Schultern. »Und das wiederum hat mir gesagt, wie viel ihm sein Kaninchen bedeutet, was für einen Jungen in seinem Alter... nun ja, es deutet auf eine bestimmte Lebensweise hin, eine gewisse Gefühlslage.« Sie tippte sich an die Schläfe. »Es geht nur um Wahrnehmung, Peter – und Wahrnehmung kann man genauso trainieren wie alles andere. Du kannst dir selbst beibringen, wie man beobachtet, wie man die richtigen Fragen stellt, wie man Schlüsse zieht... und nach einer Weile werden dir diese Dinge zur zweiten Natur. Meistens merkst du dir nicht mal bewusst, was du tust. Du siehst Dinge, hörst Dinge, riechst Dinge... und ohne darüber nachzudenken, fügst du sie einfach alle zusammen und etwas in deinem Innern sagt dir, was sie wahrscheinlich bedeuten.« Sie lächelte. »Das Einzige, was du dann noch tun musst, ist, den Leuten zu erzählen, was sie hören wollen.«
    »Ist es das, was Sie bei Raymond getan haben?«, fragte ich. »Ich meine, war das alles, was Sie getan haben – ihm sagen, was er hören wollte?«
    »Was glaubst
du

    »Keine Ahnung«, murmelte ich und begriff, wie dämlich |385| meine Frage gewesen war. »Ich hab nur gedacht...«
    »Ja?«
    »Na ja, dieser ganze Kram, den Sie Raymond gesagt haben über seine Freundlichkeit, seine Selbstlosigkeit –«
    »Schlichte Beobachtungen und Schlüsse, nichts weiter.«
    »Und das Ganze von wegen Leben und Tod –«
    »Leben und Tod kommen auf jeden von uns zu.«
    »Aber Sie haben davon gesprochen, dass jemand sterben wird.«
    »Raymond hat davon gesprochen, dass jemand sterben wird. Nicht ich.«
    »Okay«, sagte ich. »Aber was ist mit dem Ende, als Raymond gegangen ist und Sie mich zurückgerufen und mir gesagt haben, ich soll auf ihn aufpassen? Sie haben gesagt, ich soll mich um ihn kümmern. Sie haben gesagt, ich soll ihn nach Hause bringen. Wieso haben Sie das getan?«
    Sie zögerte plötzlich und es lag etwas in ihren Augen – ein Blick, ein Gefühl –, das mich überlegen ließ, ob sie mir nur erzählte, was
ich
hören wollte. Sie wusste, ich glaubte nicht an übersinnliche Kräfte und geheimnisvolle Einsichten, und deshalb versuchte sie einfach, mich zu überzeugen, dass ich recht hatte. Dass das Ganze
tatsächlich
Täuschung war, dass es
tatsächlich
nur um eine Show ging... dass ich recht hatte, nicht an Dinge zu glauben, die nicht real waren.
    Und ich wusste, dass ich recht
hatte
.
    Aber ich wollte unrecht haben.
    »Hast du manchmal Gefühle, die du nicht verstehst?«, fragte mich Lottie.
    »Zum Beispiel?«
    Sie sah mich an. »Zum Beispiel, wenn du jemanden besuchen willst, doch du weißt nicht, ob er zu Hause ist, aber |386| wenn du vor seinem Haus stehst und klopfst an die Tür... dann
weißt
du es einfach, ob er da ist oder nicht. Und du
weißt
auch, dass dein Gefühl stimmt.«
    »Ja, genau«, sagte ich leise.
    Sie nickte. »So etwas habe ich bei Raymond gespürt, etwas, worauf ich mich verlassen kann, was ich aber nicht verstehe, etwas, das hinausgeht über das, was meine Wahrnehmungen mir sagen. Ich wusste nicht genau, was es war, aber ich hatte kein gutes Gefühl. Irgendetwas würde ihm passieren. Oder er würde irgendwas tun...«
    »Wissen Sie, was mit ihm passiert ist?«, fragte ich geradeheraus.
    Sie

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