Black Rabbit Summer
Porzellankaninchens. Ich ging nicht zu der Wahrsagerin mit dem Rastalocken-Sohn, dessen Wohnwagen befleckt war vom Blut eines toten Mädchens.
Ich nicht.
Ich machte nur einen Spaziergang, tankte nur frische Luft...
Das war alles.
Der Park war dunkel und still, als ich ankam. Heute gab es keine blitzenden Lichter. Keine krachende Musik, kein kreischendes Lachen, keine wirbelnden Fahrgeschäfte oder dröhnenden Stimmen, die durch die Luft waberten. Hinter den geschlossenen Toren erstreckte sich nichts als ein nächtliches Parkgelände, eine verschwommene schwarze Leere.
Aber der Park war nicht vollkommen leer.
In dem fernen Halbdunkel konnte ich ganz schwach eine Ansammlung von Lichtern erkennen und um die Lichter herum |378| sah ich die gräulichen Schemen verschiedener Fahrzeuge. Ich konnte nicht sehen, was es für Fahrzeuge waren, doch ich war mir ziemlich sicher, dass einer davon das Wohnmobil von Lottie Noyce sein musste. Ihr Sohn war erst heute nach dem Verhör entlassen worden, die Polizei untersuchte noch immer seinen Wohnwagen und vielleicht würden sie ja noch einmal mit ihm reden wollen... also musste er irgendwo bleiben.
Als ich über das verschlossene Tor kletterte und danach durch den Park in Richtung der Lichter lief, erkannte ich, dass die Fahrzeuge mehr oder weniger in einem Halbkreis standen. Ein unsichtbarer Generator tuckerte leise irgendwo vor sich hin. Der Boden war hart und von Reifenspuren zerfurcht. Wahrscheinlich war das der Ort, wo auch Samstagnacht schon die Wohnwagen der Schausteller gestanden hatten. Es war jetzt schwer vorstellbar, doch das hier musste das hintere Ende des Kirmesplatzes gewesen sein, der Ort, wo ich Nicole und Luke gesehen hatte, wie sie in die Dunkelheit davongetorkelt waren...
Alles
war schwer vorstellbar. Die Lichter, das Chaos, das wirbelnde Durcheinander... Nicoles leblose Augen, als Luke sie wegführte in das verschattete Labyrinth aus Lastwagen, Sattelschleppern, Vans und Wohnwagen...
Zu der Zeit waren es Dutzende Fahrzeuge gewesen, doch die meisten waren jetzt weg. Die einzigen, die übrig waren – und still in der grüngrauen Dunkelheit standen –, waren zwei Wohnmobile, ein Wohnwagen und ein Toyota Pick-up mit einer zusammengesunkenen Hüpfburg hintendrauf. Beide Wohnmobile hatten erleuchtete Fenster und keiner war irgendwie gekennzeichnet.
Ich glaube, ich hatte ein bisschen gehofft, dass an einem |379|
Madame Baptiste
auf der Seite stehen würde oder vielleicht
Noyce & Sohn
oder so was in der Art. Aber nichts. Also stand ich eine Weile nur da, ungefähr zehn Meter von den Wohnmobilen entfernt, beobachtete, horchte und versuchte mir zu überlegen, welcher von beiden wohl Lottie Noyce gehörte. Es war ein ziemlich sinnloses Unterfangen. Die Vorhänge waren zu, deshalb konnte ich nichts sehen, und die einzigen Geräusche, die ich hörte, waren das leise Getucker des Generators und das Geflüster des Nachtwinds in den Bäumen. Doch das kümmerte mich nicht weiter. Ich war ganz zufrieden, dort zu stehen, die dunkle Ruhe des Parks aufzusaugen, den Geruch der schlafenden Wiesen einzuatmen, der Stille zu lauschen...
Der Himmel war schwarz und sternenklar und zum ersten Mal seit Tagen lag eine leichte Kühle in der Luft. Ich drehte mich um und schaute hinaus ins Dunkle. Wo war die Samstagnacht jetzt?, fragte ich mich. Wohin war sie verschwunden? Wo waren all die lachenden Gesichter, die strömenden Massen, die Autoscooter, die Teddybären und wirbelnden Karussells? Wo war Raymond? Wo war die Vergangenheit? Wo war –
Auf einmal spürte ich etwas – eine lautlose Bewegung.
Direkt hinter mir.
»Raymond?«, murmelte ich und drehte mich um.
Trotz der Hoffnung in meiner Stimme glaubte ich nicht wirklich, es wäre Raymond, doch da war noch immer etwas in mir, das einen kleinen Tod starb, als ich statt Raymond die hoch aufragende Gestalt von Tom Noyce vor mir sah. Er stand sehr dicht vor mir, still und blass in seinem schmuddeligen weißen Overall, und die Augenbrauenstecker und sein Lippenring glänzten matt in der Nacht. Seine eiskalten |380| blauen Augen schauten durch ein Gewirr dunkelblonder Rastalocken auf mich herab.
»Wer bist du?«, fragte er.
Seine Stimme war ein sanftes Knurren.
»Ich bin Pete Boland«, erklärte ich ihm. »Ich bin ein Freund von –«
»Was willst du?«
Ich schaute zu ihm auf und überlegte kurz, wie es ein so großer Mann mit so vielen Haaren schaffte, sich geräuschlos hinter mir anzuschleichen.
»Was willst du?«,
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