Black Rabbit Summer
nach oben auf den Tisch. »PikDame«, sagte sie. »Die Frau mit den Komm-ins-Bett-Augen.« Sie drehte eine weitere Karte um. »Herz-Dame. Eine Frau mit klaren Vorstellungen.« Sie schaute mich an. »Ich habe Stella Ross gesehen, nachdem du und Raymond an dem Abend gegangen wart. Sie ging an meinem Zelt vorbei und präsentierte sich wie eine Königin, umgeben von all ihren Dienern und Verehrern. Danach habe ich sie nie wieder gesehen.«
»Was hielten Sie von ihr?«
Lottie schloss die Augen. »Sie will bewundert werden, doch sie verachtet die, die sie bewundern. Sie ist unsicher, ichbesessen, rachsüchtig, verbittert. Sie spielt gern grausame Spielchen. Sie manipuliert gern Menschen.«
»Und das wissen Sie alles nach einem kurzen Blick?«
Lottie lächelte. »Wir können alle zaubern, Peter. Wir leben in einem magischen Land voller Wunder und Schönheit, nur wissen wir es nicht.«
»Was?«, sagte ich stirnrunzelnd.
»Entschuldigung«, antwortete sie, öffnete die Augen und |390| grinste mich an. »Ich verbringe den größten Teil meines Lebens damit, Unsinn zu reden – es ist schwer, diese Gewohnheit abzulegen.«
»Klar. Dann haben Sie also Stella an dem Abend nicht mehr gesehen?«
»Nein. Aber ich bin wie gesagt sehr gut darin, Menschen zu studieren, und ich hatte bei ihr den Eindruck, dass ihr alles überragender Wunsch war, das zu besitzen, was sie nicht haben konnte.« Sie sah mich an. »Genau wie der Junge, mit dem du später zusammen auf der Bank gesessen hast.«
»Pauly?«
Sie drehte eine Karte um: die Karo-Vier. »Rausch«, sagte sie schlicht. »Sein Gesicht ist getrübt von Alkohol und Drogen.« Eine weitere Karte. »Die Pik-Zwei. Er liebt eine Illusion.« Eine weitere Karte. »Die Pik-Sieben. Die Motte ist fasziniert von der Flamme.« Sie sah mich an. »Auch er wollte, was er nicht haben konnte.«
»Wer – Pauly?«
»Ja.«
»Was konnte er denn nicht haben?«
Sie verengte die Augen und dachte darüber nach. »Nun, zuerst glaubte ich, dass das Objekt seiner Begierde einer der beiden Lover war, die er beobachtete, dass er einen von ihnen wollte und es ihn wütend machte, die beiden zusammen zu sehen. Doch nach einer Weile merkte ich, dass mehr dahintersteckte. Ich glaube, es gab noch etwas
anderes
, das er begehrte –«
»Warten Sie«, sagte ich ganz durcheinander. »Sprechen Sie noch immer von Pauly?«
Sie nickte. »Von dem Jungen auf der Bank. Du hast ihn eine Weile beobachtet, dann bist du hinübergegangen und |391| hast dich neben ihn gesetzt.«
»Klar... Und wer waren die beiden Lover, die er beobachtete?«
»Dieselben, die auch du beobachtet hast.«
Ich sah sie ungläubig an. »Sie meinen Eric und Campbell?«
»Ihre Namen weiß ich nicht – einer von ihnen war der Bruder des Mädchens, das du kennst, der andere war ein älterer Junge mit leicht nach unten gebogenem Mund.«
»Ja«, murmelte ich. »Eric Leigh und Wes Campbell. Aber sie sind doch keine...«
Lover
, wollte ich sagen. Sie sind doch keine Lover. Aber plötzlich begann es in meinem Kopf zu zünden und zu prasseln – ich hörte förmlich, wie sich die Dinge fügten, und auf einmal war mir alles klar. Eric und Wes Campbell: zusammen auf der Kirmes, zusammen bei Eric zu Hause, zusammen in seinem Zimmer...
Eric und Campbell waren
zusammen
.
Deshalb hatte mir Campbell gedroht.
Deshalb hatte Eric mich darüber angelogen, wo er die ganze Nacht war... er war mit Wes Campbell zusammen gewesen.
Sie waren
zusammen
.
»Wusstest du das nicht?«, fragte mich Lottie.
»Nein... also, ich weiß, dass Eric schwul ist –«
»Eric ist der Bruder?«
»Ja, jeder weiß über Eric Bescheid. Er hat sich schon vor Jahren geoutet. Aber Wes Campbell...?« Ich sah sie an. »Sind Sie sich sicher bei ihm?«
Sie nickte. »So wie sich die beiden angesehen haben, wie sie zusammenstanden. Ihre Nähe, die Intimität... klar, sie |392| haben sich beide sehr bemüht, es zu verbergen.« Sie unterbrach sich für einen Moment und sah mich an. »Der ältere Junge... ist das Wes Campbell?«
»Ja.«
»Es gibt gar keinen Zweifel, dass er den Bruder liebt, aber er liebt sich selbst viel zu sehr, um es zu zeigen.« Sie drehte eine Karte um. »Kreuz-Zwei... er hat Angst, dass seine Liebe auf Ablehnung und Misstrauen stößt.«
»Verdammt«, sagte ich und schüttelte den Kopf. »Wes Campbell... Scheiße. Ich kann das nicht glauben.« Ich sah Lottie an. »Ich meine, ich will damit nicht sagen... verstehen Sie, ich will damit nicht sagen, dass Typen wie Wes
Weitere Kostenlose Bücher