Black Rabbit Summer
steckte es in die Tasche und zwang mich aufzustehen.
Meine Beine fühlten sich an wie aus Stein.
Mein Kopf dröhnte.
Ich sog die warme, erdige Luft tief in meine Lungen und schlurfte erschöpft aus der Hütte.
Die Sonne stand hoch oben in einem stahlblauen Himmel, als ich über den Drecksweg nach Hause gehen wollte, und für einen kurzen Moment fragte ich mich ernsthaft, ob ich genug Kraft hatte, um weiterzulaufen. Schon vom Klettern die Böschung hinab strömte mir der Schweiß aus sämtlichen Poren und so langsam setzte diese diffuse Übelkeit ein, die man bekommt, wenn man sehr lange nicht geschlafen hat. Ich hatte das Gefühl, mich jeden Moment übergeben zu |458| müssen, doch nicht aus dem Magen heraus. Es war, als ob ich mich aus dem Innern meines Kopfs erbrechen müsste.
Doch dann, als ich einen Augenblick stehen blieb, ein paar Mal tief Luft holte und versuchte die Übelkeit zu überwinden, entdeckte ich weiter oben etwas und vergaß sofort meine Sorge, mich erbrechen zu müssen.
Zuerst glaubte ich, Gespenster zu sehen – ein neuer Flashback vom Juice –, und einen zeitlosen Moment lang war es wieder Samstagabend, ich stand mit Raymond auf dem Fußweg und er starrte stur geradeaus, die Augen blind vor Angst...
Raymond?
Du hast gesagt, er wär nicht hier...
Wer?
Du hast gesagt...
Aber ich wusste, es war nicht Samstagabend, es war Mittwochmorgen und die Schar der Greenwell-Jungs, die ich weiter vorn auf dem Weg stehen sah... sie waren kein Flashback. Sie standen wirklich dort, ganz real im Jetzt, keine zwanzig Meter von mir entfernt. Ungefähr ein Dutzend schmuddelig weiße Augen, die mich übel angafften.
Ich drehte mich um und wollte zurück in die andere Richtung ...
Und blieb abrupt wieder stehen.
Starrte Eric an.
Und Wes Campbell.
Und Pauly.
Eric stand am nächsten, ungefähr fünfzehn Meter von mir entfernt, Campbell und Pauly waren direkt hinter ihm. Eric wirkte ausgezehrt und gezeichnet. Er stand nur da und starrte mich müde an, die Hände in den Taschen, die Schultern |459| nach vorn gebeugt. Er schien nicht wahrzunehmen, was hinter ihm geschah, oder vielleicht wollte er sich auch einfach nicht eingestehen,
dass
dort etwas geschah. Aber es geschah etwas. Ich konnte nicht hören, was Wes Campbell zu Pauly sagte, doch ich sah das Messer in seiner Hand und ich sah auch, wie er sich zu Paulys Gesicht beugte, die Zähne bleckte, zischte und dann in Paulys versteinerte Augen spuckte.
Dann sah ich, wie Eric über die Schulter schaute und etwas zu Campbell sagte. Campbell schaute ihn an, warf einen kurzen Blick auf mich und danach – ohne Pauly auch nur im Geringsten zu beachten – grinste er und kam auf mich zu. Als er an Eric vorbeilief, berührte der seinen Arm und sagte etwas. Campbell blieb einen Moment stehen, sah Eric an, und obwohl es kein Lächeln gab, kein offenkundiges Zeichen von Zuneigung, war die Intimität zwischen ihnen unübersehbar. Jetzt, da ich von ihr wusste, war es schwer zu verstehen, dass ich sie früher niemals bemerkt hatte.
Nicht dass es für mich einen Unterschied machte.
Campbell steuerte direkt auf mich zu. Eric war gleich hinter ihm und Pauly folgte zögernd mit ein paar Metern Abstand.
»Verpiss dich, Gilpin«, rief Campbell nach hinten, während er den Blick weiter starr auf mich richtete.
Pauly blieb stehen.
»Geh schon«, sagte Campbell verächtlich. »Verpiss dich, du Scheißkerl.«
Pauly stand einen Moment lang bloß da – mit flatternden Augenlidern, das Gesicht blass und voller Verwirrung –, dann drehte er sich um und stapfte niedergeschlagen fort, in die andere Richtung. Ich konnte sein Gesicht nicht sehen, |460| doch es war nicht schwer, sich den Ausdruck darin vorzustellen ... die Einsamkeit, die Dunkelheit, die Trauer...
Aber ich hatte keine Zeit, über Pauly nachzudenken.
Ich schaute über die Schulter. Die Greenwell-Jungs waren immer noch da und blockierten den Weg weiter oben. Ich konnte nicht weglaufen. Nirgendwohin fliehen. Ich schaute wieder zu Eric und Campbell. Campbell war ungefähr fünf Meter entfernt und lächelte mich schief an.
»Diesmal bist du allein, Boland«, sagte er. »Mit deinem Glück ist es vorbei.«
Ich starrte ihn kurz an, schaute über seine Schulter zu Eric, dann drehte ich mich um und rannte auf die Greenwell-Jungs zu.
Ich sah, wie sie mich angrinsten, als ich auf sie zulief – wie sie sich über meine Blödheit amüsierten und sich schon freuten, ein bisschen Spaß mit mir zu haben. Ich sah, wie sie
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