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Black Rabbit Summer

Black Rabbit Summer

Titel: Black Rabbit Summer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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seinem scheiß beknackten Karnickel... verstehst du, wahrscheinlich landet er doch sowieso irgendwann in der Klapse...«
    Ich versuchte mich mit aller Kraft zu beherrschen – langsam zu atmen, stillzuhalten, mir zu sagen, bleib ruhig, lass dich nicht provozieren, lass das alles nicht an dich ran. Und ich wusste, ich hatte recht, es war sinnlos, wütend zu werden. Pauly war ein Idiot. Er war krank, er war dumm, er war egoistisch und schwach. Er konnte nichts für das, was er war. Ich
wusste
das alles. Trotzdem wollte ich ihm am liebsten den Kopf abreißen.
    Doch ich tat es nicht.
    Ich saß nur schweigend da, starrte ihn an, während er weiterbrabbelte, und ließ meinen Hass aus den Poren rinnen wie Schweiß. Und als die dunklen Gefühle durch meine Haut drangen, merkte ich, dass nicht aller Hass Pauly galt – ein Teil galt auch mir selbst. Weil ich immer gewusst hatte, wie Pauly tickte... ich hatte es
immer
gewusst. Trotzdem ich hatte nie was dagegen unternommen. Und wieso nicht? Weil |455| er Pauly war... er war doch einer von uns. Und wir waren doch alle
Freunde
, oder? Eric, Nic, Pauly, ich... wir waren doch zusammen aufgewachsen. Wir hatten zusammen Sachen gemacht. Wir hatten die Sommer zusammen verbracht. Wir hatten zusammen Hütten gebaut.
    Wir waren doch Freunde.
    Aber hatten wir uns je richtig
gern gemocht
?
    Vielleicht der eine oder andere...
    Ab und zu.
    Aber das reicht nicht, oder?
    Ich meine, das ist doch nicht Freundschaft – höchstens Zusammensein. Einer von uns sein. Und der Einzige, der nie einer von uns gewesen war, war zugleich der Einzige, der mir je etwas bedeutet hatte. Und jetzt, wo Raymond weg war, war es zu spät, etwas zu tun. Ich konnte mich nur selbst hassen und sogar das war noch Zeitverschwendung.
    »Also?«, fragte Pauly.
    »Was?«
    »Wirst du irgendwem erzählen, was passiert ist, oder nicht?«
    »Weiß ich noch nicht. Muss ich erst drüber nachdenken.«
    »Komm schon, Pete«, bettelte er. »Ich hab dir doch
gesagt
, es war ein Unfall... Ich mein, wir haben es ja nicht mit Absicht getan.«
    »Ich hab gesagt, ich denk drüber nach.«
    »Ich würde für dich dasselbe tun.«
    »Nein, würdest du nicht.«
    »Doch, würde ich... ich mein, wir sind Freunde, oder? Waren wir doch immer –«
    »Halt die Klappe.«
    »Du musst nur –«
    |456| »Soll ich gleich die Polizei anrufen?«, fragte ich und zog mein Handy aus der Tasche.
    Er sagte nichts, sondern saß nur da und starrte mich an wie ein verletzter kleiner Junge. Für einen Moment dachte ich, er würde anfangen zu weinen, und er tat mir schon fast wieder leid. Aber mit meinem Mitgefühl war es jetzt vorbei.
    »Geh nach Hause«, erklärte ich ihm.
    »Ja, aber –«
    »Geh einfach nach Hause, okay? Ich denk drüber nach, was ich tun werde, und wenn ich mich entschieden hab, komm ich bei dir vorbei und sag dir Bescheid. Bis dahin erzähl ich niemandem was.«
    »Was ist, wenn die Polizei kommt und mich holt?«
    »Sind deine Eltern zu Hause?«
    »Nein.«
    »Dann mach die Tür nicht auf. Bleib in deinem Zimmer und warte auf mich.«
    »Und du kommst wirklich?«
    »Ja.«
    »Wann?«
    »Wenn ich so weit bin.«
    »Heute Nachmittag?«
    Ich starrte ihn an.
    »Was ist?«, fragte er.
    Ich seufzte und stellte das Handy an.
    Einen Augenblick lang wirkte Pauly verwirrt, doch dann begriff er, was ich vorhatte, und kam schnell auf die Beine. Für einen Moment verlor er das Gleichgewicht, stürzte beinahe, fing sich aber noch mal und drehte sich schließlich – mit einem merkwürdig wissenden Blick – zu mir um, senkte den Kopf und stolperte aus der Tür.

    |457| Ich war inzwischen so müde – und mein Körper so bleiern und taub –, dass ich gar nichts mehr wollte. Ich wollte nicht über Pauly nachdenken. Ich wollte nicht nach Hause gehen. Ich wollte nicht mal aufstehen. Ich wollte nur noch die Augen schließen, alles vergessen und in einen traumlosen Schlaf fallen. Und als sich Paulys unregelmäßige Schritte auf ihrem Weg die Böschung hinab verloren, starrte ich mit verschwommenem Blick auf das Handy in meiner Hand und stellte mir vor, Dad anzurufen. Ich könnte ihm alles jetzt gleich erzählen. Ich könnte ihm erzählen, was Pauly gesagt hatte. Ich könnte ihm erzählen, dass Pauly auf dem Weg nach Hause war. Ich könnte ihm erzählen, wo ich war, dass es mir leidtat, weggerannt zu sein, dass ich zu müde war, mich zu rühren, und ich könnte ihn fragen, ob er bitte vorbeikommen und mich abholen würde...
    Das Handy hatte keinen Empfang.
    Ich

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