Black Rabbit Summer
um den Hals, einem gemalten Gesicht, das die Stirn zu runzeln schien...
Ich lächelte in mich hinein.
Das Karussell drehte sich weiter, nahm Raymond mit, und während ich wartete, dass er wieder vorbeikam, überlegte ich, was geschehen würde, wenn ich hinüberginge und mich dazusetzte. Es war genug Platz da, viele Pferde oder Kaninchen, auf denen ich reiten konnte... wir könnten zusammensitzen wie zwei verlorene Cowboys, die im Kreis reiten, beide ohne Ziel, und ich könnte Raymond fragen, wie er sich fühlte, wo er gewesen war und was er gemacht hatte...
Doch nach einer Weile merkte ich, es war zu spät. Er war nicht mehr da. Das Karussell drehte sich noch, aber das pferdgroße Kaninchen war wieder ein Pferd und sein goldener Sattel war leer.
Raymond war fort.
Genauso wie der Mann mit dem Schnauzbart.
Danach bekam ich nicht mehr viel mit. Ich denke, ich muss gewusst haben, was ich tat und wo ich hinging, und ich erinnere mich, dass ich zu diesem Zeitpunkt dachte, wie wunderbar klar alles sei... und das
war
es auch. Alles in mir und um mich herum war klarer, als es je gewesen war: meine Gedanken, meine Wahrnehmungen, meine Gefühle, die Welt. Aber es war so eine Klarheit, die nur isoliert funktioniert – |137| wie der Lichtkegel eines Scheinwerfers, der immer nur eine Sache erhellt –, und jedes Mal, wenn sich der Scheinwerfer weiterbewegte und seinen hellen Strahl auf etwas anderes richtete, vergaß ich, was im Dunkel verschwunden war.
Es war, als ob ich in einer Folge absolut klarer Momente existierte, die nicht miteinander verbunden waren. Es gab nur das eine, dann etwas anderes. Einen Gedanken, dann einen anderen. Einen Schritt, dann wieder einen...
Einen nach dem andern.
Das war es, was ich tat, als ich den Kirmesplatz verließ und durch das Parkgelände lief – ich machte einen Schritt nach dem andern. Einen Schritt, noch einen Schritt... den Weg entlang, weg von den Lichtern, hinein in die Dunkelheit... einen Schritt, noch einen Schritt... einen Schritt, noch einen Schritt... den ganzen Weg bis zum Parktor. Es war noch offen und sinnloserweise fragte ich mich einen Moment lang, ob es wohl die ganze Nacht offen bliebe oder ob jemand kommen würde, um es zu schließen... und wenn ja, wer? Ein Kirmesarbeiter? Jemand von der Stadtverwaltung? Ein Polizist?
Außerhalb des Tors blieb ich stehen, schaute mich um und versuchte mich zu entscheiden, welchen Weg ich nehmen sollte. Die kleine Straße, die zum Drecksweg führte, lag rechts von mir, die Straße links würde mich um den Park herum zur Recreation Road führen, dann auf der anderen Seite der alten Fabrik entlang und schließlich ans nördliche Ende der St Leonard’s Road.
Ich schaute auf meinem Handy nach der Uhrzeit.
Ich weiß nicht, warum mich die Zeit interessierte – egal wie spät es war, es spielte doch keine Rolle. Und bis das Handy zurück in der Tasche war, hatte ich die Uhrzeit ohnehin längst wieder vergessen.
|138| Als ich erneut nach rechts blickte, glaubte ich zu sehen, wie jemand von der kleinen Straße in den Drecksweg abbog. Es war nur eine kurze Augenblickswahrnehmung, außerdem war die Straße sehr dunkel und es fiel mir sowieso schwer, mich auf irgendetwas zu konzentrieren, das mehr als ein paar Meter entfernt lag... doch für einen kurzen Moment war ich überzeugt, dass es der merkwürdig aussehende Mann mit dem Schnauzbart war. Ich hatte im Dunkeln sein Gesicht nicht wirklich gesehen, also konnte ich nicht sagen, ob er einen Bart trug oder nicht, aber irgendwas war da – ein Gefühl, ein Empfinden... die leicht gebeugte Haltung, die Art, wie er ging...
Er
ging
genau wie ein merkwürdig aussehender Mann mit einem Schnauzbart.
Mir war nicht klar, warum mich sein Anblick beschäftigte, und ich wusste, dass ich wahrscheinlich sowieso nur Gespenster sah. Im Grunde genommen glaubte ich schon ein paar Sekunden, nachdem er weg war, ziemlich sicher, dass er überhaupt nie dort gewesen war. Trotzdem fühlte ich, wie mein Herz schlug, als ich mich nach links wandte und mich vom Drecksweg entfernte. Und ich konnte nicht aufhören, alle paar Sekunden stehen zu bleiben und über die Schulter zurückzuschauen, bis ich die Sicherheit der Recreation Road mit ihren Straßenlaternen erreichte.
Das Haus, in dem Eric und Nic wohnen, liegt im oberen Drittel der Recreation Road, etwa dreißig Meter hinter dem Haupteingang zu der alten Fabrik. Es ist ein großes, frei stehendes Haus, zurückgesetzt von der Straße, mit einem kleinen
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