Black Rabbit Summer
sehen...
Aber ich wusste, es musste sein.
Ich öffnete die Augen und sah nach unten.
Ich sah den Boden zu meinen Füßen, den löchrigen Zementweg ... diese kleine graue Welt aus Steinen und Sand, zugeteerten Löchern, Insekten und Staub. Ich sah eine Spur aus flachen braunen Wasserlachen und nassen Schuhabdrücken, die zu Raymonds Gartentor führten. Und unterhalb des Tors, da wo der Boden trocken war, sah ich Blut.
Es war nicht viel Blut, nur ein paar Spritzer...
Aber Blut ist Blut.
Diese Art von Rot schreit einen an wie nichts sonst.
Und es war da...
Schrie mir seine Gewalt entgegen.
Verdammt, es war
Blut
.
Mir wurde ganz kalt und ich fühlte mich klein wie ein Kind an einem unbekannten Ort, und während ich langsam am Tor hinaufblickte, schaltete sich in mir etwas ab. Ich wusste nicht mehr, was ich tat. Ich tat es einfach. Und als ich sah, was an dem Tor hing, aufgespießt an einem rostigen Nagel, glaubte ich es zuerst einfach nicht. Ich
konnte
es nicht glauben. Es musste etwas anderes sein – ein weggeworfener Handschuh oder so was... ein altes schwarzes T-Shirt , zu einer Kugel zusammengeknüllt ... oder vielleicht die Überreste von einem Stofftier, das einem Kind gehört hatte.
Aber es war kein Stofftier.
Stofftiere bluten nicht.
Es gibt keine Fliegen, die um die Augen eines Stofftiers herumsummen.
Nein...
|147| Ich schloss die Augen und hoffte, es würde verschwinden ... doch als ich sie wieder öffnete, war der abgeschlagene Kopf von Black Rabbit immer noch da, noch immer ans Tor geschlagen, noch immer rot tropfend im Regen.
|148| Elf
A ls ich da stand und den grausigen Anblick am Garten tor sah, erstarb alles in mir. Es wollte einfach nicht in meinen Kopf. Es war zu unfassbar, zu verkehrt. Zu krank, um es zu begreifen. Es war Raymonds Kaninchen und war doch kein Kaninchen mehr. Es war nicht einmal mehr ein Kaninchenkopf. Es war nur noch ein Ding, ein kleines schwarzes zugrunde gerichtetes Ding. Zähne, Fell, Knochen, Blut... Regen und Fliegen... ein toter Schädel, der an einem Nagel hing.
O Gott...
Ich schaute zu Boden, atmete gleichmäßig und versuchte mich nicht zu übergeben. Ich war jetzt schweißgebadet. Meine Beine zitterten. Und ich spürte, wie das hohle Gefühl im Magen wuchs.
O Gott...
Ich krümmte mich, fasste mir an den Bauch und musste mich übergeben.
Nachdem ich mich erbrochen hatte, ging es meinem Magen ein bisschen besser, doch mein Kopf war noch betäubt von dem Schock. Und ich glaube, das war der Grund, weshalb ich mich nicht einfach umdrehte und auf schnellstem Wege |149| nach Hause lief. Es wäre vernünftig gewesen. Nach Hause zu laufen, Dad zu holen und ihn alles Weitere tun zu lassen ... was immer das war.
Doch ich war nicht vernünftig.
Ich war
un
vernünftig.
Ich tat, was ich tat, ohne darüber nachzudenken.
Ich hatte wirklich keinen Gedanken im Kopf, als ich auf das Tor zutrat, den Blick abwandte und es mit dem Ellenbogen aufstieß. Mein Kopf war leer. Auch der Garten war leer. Ich blieb im Durchgang stehen, eine Minute... zwei Minuten... ich stand ganz still, horchte genau, starrte durch die Düsternis auf den vom Regen durchnässten Rasen, seine lehmigen Ränder und auf die tropfenden Büsche. Es war niemand da. Nichts, was nicht hätte da sein dürfen. Ich holte tief Luft, trat durch das Tor und schaute hinüber zum Gartenschuppen. Die Tür stand offen und ein paar Sachen lagen verstreut vor dem Eingang – ein alter Spaten, ein paar blaue Plastiksäcke, eine Rolle Maschendraht. Auch mein Rucksack lag da. Aber ich wunderte mich nicht lange darüber. Stattdessen zog es meinen Blick zu dem Kaninchenstall neben dem Schuppen ... oder zumindest dem, was davon übrig war. Er war in lauter Einzelteile zerlegt. Jemand hatte ihn zertrümmert und in den Boden gestampft.
Direkt neben dem zerstörten Stall fand ich die kopflosen Überreste von Black Rabbit. Sein jämmerlicher Körper lag in einer Pfütze – mit klaffendem Hals, das durchnässte Fell dunkel vom Blut.
Einer der Hinterläufe war abgehackt.
In dem Moment drehte ich durch. Alles kochte in mir hoch – der Schock, die Übelkeit, die Angst – und ich lief einfach |150| los. Durch den Garten, fort von dem Horror, an die Rückseite von Raymonds Haus.
»Raymond!«, schrie ich und hämmerte gegen den Hintereingang.
»Raymond!«
Wahrscheinlich klang ich wie ein Wahnsinniger, doch das war mir egal. Ich trommelte einfach weiter gegen die Tür und schrie, so laut ich nur konnte...
»Raymond! Bist
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