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Black Rabbit Summer

Black Rabbit Summer

Titel: Black Rabbit Summer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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verlor sich jetzt langsam in der Ferne, aber es goss noch immer in Strömen und niemand, der bei Verstand war, hielt sich jetzt draußen auf. Die Straßen hatten so ein ausgelaugtes Gefühl von Sonntagmorgen an sich – der Morgen nach einer Samstagnacht – und ich gebe zu, dass mir die Düsternis und die trostlose Leere um mich herum auf eine gewisse Weise gefiel. Ich
wollte
, dass alles trist war. Ich war durch eine Nacht des Wahnsinns gegangen. Ich hatte Raymond verloren. Mit Nicole alles verdorben. Mir war kalt, ich war nass, mein Kopf dröhnte noch immer...
    Ich
wollte
mich bemitleiden.
    Also tat ich es.
    Schmollend, zitternd und unter Schmerzen lief ich durch den kalten Sommerregen und suhlte mich in allem Elend, das ich finden konnte. Ich wusste, dass es albern, egoistisch und kindisch war, aber das kümmerte mich nicht mehr. Ich wollte mich suhlen. Ich wollte egoistisch und kindisch sein. Ich wollte der Junge im Film sein, der vom Glück verlassen und völlig allein im Regen steht, und wenn ich noch ein bisschen trübsinnige Musik im Hintergrund hätte haben können und eine Million Fernsehzuschauer, dann hätte ich genau das auch noch gewollt.
    |144| Aber man kann schließlich nicht alles haben, oder?
    Deshalb blies ich in aller Stille und ohne Zuschauer weiter Trübsal – die Recreation Road entlang, die St Leonard’s Road runter, links in die Hythe Street rein, hoch zu dem Weg, der zum Fluss hinabführt...
    Die Schranke zu dem Weg stand offen, das Vorhängeschloss war weggerissen. Frische Reifenspuren führten hinunter zum Fluss und ein Gestank von brennendem Gummi lag in der Luft. Nicht weiter beunruhigend, nur noch ein gestohlenes Auto. Fast jedes Wochenende steht ein brennendes Fahrzeug am Fluss, mindestens eins. Normalerweise schwelen sie dort ein paar Tage vor sich hin, bevor die Polizei endlich kommt und sie abschleppt, und dann kommt ein Mann von der Stadtverwaltung vorbei und hängt ein neues Schloss samt Kette an die Schranke, aber das ändert nie etwas. Den Jugendlichen, die die Autos klauen,
gefällt
es, runter zum Fluss zu fahren, es
gefällt
ihnen, mit den Autos eine Weile herumzurasen, bevor sie sie anzünden, und mehr gibt es dazu nicht zu sagen.
    Es regnete noch, aber jetzt nicht mehr so stark. Das Gewitter hatte sich verzogen und eine verwaschene Tageslichtdüsternis am Himmel zurückgelassen. Als ich die Straße entlang auf unser Haus zuging, sah ich einen schwachen Lichtschimmer im Küchenfenster. Dads Wagen stand vor der Tür, vermutlich war er gerade von der Arbeit gekommen und machte sich noch eine Tasse Tee, bevor er ins Bett ging.
    Ich überlegte, wie fertig ich wohl aussah. Dad wusste immer gleich Bescheid... er brauchte nur meine Augen zu sehen und schon kapierte er, was mit mir los war. Wobei er meistens ziemlich okay war in solchen Dingen. Ich meine, er |145| machte kein Riesentheater, aber er war auch konsequent. Wenn er fand, ich hatte es zu weit getrieben, dann ließ er mir das nicht durchgehen, sondern wollte von Mann zu Mann mit mir reden und mich mit unangenehmen Wahrheiten konfrontieren...
    Und das konnte ich im Moment nicht gebrauchen.
    Ich wollte kein Mann sein.
    Ich wollte keine unangenehmen Wahrheiten hören.
    Deshalb überquerte ich die Straße – als würde mich das unsichtbar machen – und ging weiter zu Raymonds Haus.

    Bei ihm war alles dunkel, so trist und schäbig wie immer, und als ich den Fußweg zum Gartentor entlangkam, spürte ich, wie ein kalter Schauer in mir hochkroch. Irgendetwas schien nicht in Ordnung. Irgendetwas fehlte, da war eine Leere... ein Nichtvorhandensein. Einen Augenblick blieb ich stehen und schaute mich um. Überall lagen aufgerissene nasse Müllbeutel, die aufgeweichten Innereien schön auf dem Weg verteilt – zusammengeknüllte Papiertaschentücher, Hühnerknochen, Reste von grau gewordenem Fleisch –, und als ich tief durchatmete und versuchte mich zu beruhigen, ließ der üble Gestank des verrottenden Abfalls meinen Magen schlingern. Ich schloss für Sekunden die Augen und konzentrierte mich darauf, die Übelkeit niederzukämpfen, und in dieser kurzen Dunkelheit wusste ich plötzlich, was diese Leere war. Sie betraf Raymond... seine Gegenwart. Er war nicht da. Nichts war da. Nicht das kleinste Gefühl von Raymond. Ich konnte weder seine Gegenwart
noch
seine Abwesenheit spüren...
    Das Einzige, was ich fühlte, war eine plötzliche würgende Angst.
    |146| Ich wollte die Augen nicht wieder öffnen.
    Ich wollte nichts

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