Black Rabbit Summer
allein?«
Sie schloss die Augen und legte die Hand auf die Stirn, um sich zu erinnern. »Ich weiß nicht... ich glaub, ich hab ihn zweimal gesehen. Oder vielleicht war es auch jemand anderes ...« Sie seufzte schwer und öffnete dann wieder die Augen. »Tut mir leid, Pete... ich kann mich wirklich nicht erinnern.«
»Ist schon okay«, sagte ich. »Wenn dir doch noch irgendwas einfällt –«
»Klar, dann ruf ich dich an.«
Ich nickte. »Ich bin jetzt noch eine Weile unterwegs. Meld |180| dich auf dem Handy. Hast du meine Nummer?«
»Ich hab deine alte noch, aber die hilft mir wohl nicht weiter.«
Sie hatte recht – die Nummer, die sie hatte, musste mindestens drei oder vier Handys alt sein.
»Hast du was zu schreiben?«, fragte ich sie.
Sie zog einen Lippenstift aus der Tasche, reichte ihn mir und hielt mir den Arm hin. Ich wartete einen Moment und beobachtete, wie ein Polizeiwagen langsam an uns vorbeifuhr, dann fasste ich ihre Hand, drehte den Lippenstift heraus und schrieb meine Handynummer auf ihre Haut.
»Hör mal, Pete«, sagte sie leise, »wegen gestern Abend...« Ein Tropfen Schweiß fiel von meinem Kopf auf ihren Arm.
»Ich weiß, das ist eine dämliche Frage«, fuhr sie fort, »aber wir haben es doch nicht richtig
getan
, oder?«
»Nein«, sagte ich und gab vor, mich auf den Lippenstift in meiner Hand zu konzentrieren. »Nein, wir haben gar nichts getan. Weißt du nicht mehr, was passiert ist?«
»Na ja, mehr oder weniger... ich meine, ich erinnere mich an Bruchstücke und ich weiß, wir haben was
angefangen
, also...« Sie legte wieder die Hand an ihre Stirn. »Verdammt, ich erinnere mich nur daran, dass ich mich so
seltsam
gefühlt hab... als ob mein Körper explodieren würde. Es war, als hätte ich völlig die Kontrolle verloren oder so.«
Ich ließ ihre Hand los und gab ihr den Lippenstift zurück. Nic sah mich an. »Tut mir leid, Pete... ich meine, ich hab Scheiße gebaut...«
»Ist schon okay«, sagte ich zu ihr. »Niemand hat Scheiße gebaut. Es war bloß einfach eine ziemlich seltsame Nacht...«
Sie nickte traurig. »Ja...«
|181| Ich sah sie einen Augenblick an und überlegte, was ich sagen sollte, dann schauten wir nach oben, weil ein Hubschrauber dicht über unsere Köpfe hinwegflog. Das
Tschopptschopp
der Rotorblätter erfüllte für eine Weile die Luft, ich hielt mir die Hand über die Augen, um sie vor der Sonne zu schützen, und sah, wie der Hubschrauber nach links schwenkte und über dem Parkgelände kreiste.
»Was ist denn da los?«, fragte Nic. »Ist das ein Polizeihubschrauber?«
»Ja...«
»Glaubst du, das hat was mit Raymond zu tun?«
»Ich weiß nicht... wahrscheinlich nicht.« Ich sah sie an. »Hör mal, ich geh dann jetzt besser...«
»Willst du noch mal zurück zum Kirmesplatz?«
»Ja.«
»Soll ich mitkommen?«
»Nein... ist schon in Ordnung, danke. Ich schau nur noch mal schnell nach...«
»Bist du sicher?«
»Ja...« Ich lächelte sie an. »Außerdem siehst du so aus, als ob es dir guttun würde, wenn du nach Hause kommst.«
Sie sah mich an. »Okay... ja, ich ruf dich dann an, wenn mir noch was einfällt...«
»Ja, danke.«
Wir standen einen Moment da, beide nicht sicher, wie wir die Sache beenden sollten. Dann berührte Nic meinen Arm, sagte: »Bis später«, und brach schließlich auf. Ich sah ihr noch einen Augenblick hinterher und fragte mich kurz, wie ihre Nacht mit dem Krakentypen gewesen sein mochte und ob sie sich wirklich nicht erinnern konnte, was in der Hütte passiert war...
|182| Dann schüttelte ich die Gedanken aus meinem Kopf und machte mich auf.
Im Sommerlicht des Sonntagnachmittags wirkte der Kirmesplatz wie ausgestorben. Ohne die Lichter, ohne die Musik und die Geräuschkulisse schien er nur müde und traurig dazuliegen. Seine ganze Ausstrahlung war weg. Der Wahnsinn, die Bewegung, das Leben... alles, was übrig blieb, war eine verstreute formlose Ansammlung von Maschinen, Gerüsten, Zeltwänden und Fahrzeugen.
Die Kirmes zog weiter.
Einige der Fahrgeschäfte waren bereits abgebaut und verladen und hinterließen dort, wo sie gestanden hatten, große Flecken von totem, vergilbtem Gras, während sich andere noch im Abbau befanden. Der Klang von schwerer Arbeit lag in der Luft, als ich umherlief – surrende Elektroschrauber, schlagende Hämmer, das dumpfe Klirren, mit dem Gerüststreben unten aufschlugen. Die Kirmesleute waren alle mit Zusammenpacken beschäftigt und nahmen kaum Notiz von mir, und falls sich der eine oder andere
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