Black Rabbit Summer
»aber ist das alles wirklich
nötig
?«
Barry sah sie an. »Sonst würde ich nicht fragen.«
»Schon, aber bestimmt –«
»Bitte, Mrs Boland«, sagte er und hielt wieder die Hand hoch. »Ich verstehe ja Ihre Bedenken, aber würden Sie Peter bitte auf meine Fragen antworten lassen?«
Mum schüttelte den Kopf und zeigte ihr Missfallen, behielt jedoch jeden weiteren Kommentar für sich.
Barry wandte sich wieder mir zu. »Hör zu, Peter«, sagte er, »ich versuche mir nur ein Bild von Raymonds Charakter zu machen. Seiner Persönlichkeit. Verstehst du? Wenn ich mich in ihn hineinversetzen kann –«
»Ich weiß genau, was Sie tun«, erklärte ich ihm. »Sie versuchen herauszufinden, ob Raymond irgendein scheiß Perverser ist, verdammt. Sie wollen wissen, ob er so durchgeknallt ist, dass er total ausrasten kann und –«
»Pete«, blaffte Mum. »Dafür gibt es keinen Grund!«
»Ja, aber –«
»Ich weiß, dass du empört bist«, sagte sie streng, »doch das |290| ist kein Grund für so eine Sprache.«
»Ja, gut«, sagte ich beleidigt und starrte Barry an. »Stimmt aber doch, oder etwa nicht? Genau das versuchen Sie.«
»Ich versuche nur, meine Arbeit zu machen, Peter«, antwortete er. »Das ist alles. Ich muss herausfinden, ob Raymonds Verschwinden irgendetwas mit dem Verschwinden von Stella zu tun hat.«
»Klar, und was, wenn nicht?«
»Tja, dann –«
»Sie beziehen diese Möglichkeit doch gar nicht ein, stimmt’s? Sie gehen einfach davon aus, dass Raymond etwas mit dem zu tun hat, was Stella passiert ist.«
»Wir gehen von gar nichts aus.«
»Nein?«
Barry starrte mich bloß eine Weile mit kalten, harten Augen an und es war offensichtlich, dass er langsam sauer wurde. Ich zweifelte seine Integrität an. Ich beschuldigte ihn, voreilige Schlüsse zu ziehen. Ich zerrte total an seinen Nerven. Und das gefiel ihm gar nicht.
»Okay, Terry«, sagte er leise zu Gallagher. »Ich denke, wir sehen uns jetzt mal das Video an.«
Ich schaute gespannt zu, wie Gallagher aus einer Tasche zu seinen Füßen ein Videoband zog und es hinüber zu dem Rekorder trug. Er schob es ein, nahm die Fernbedienung in die Hand und setzte sich wieder zurück an den Tisch. Ich schaute Barry an. Sein Gesicht gab nichts preis, doch es lag etwas in seinem Blick, das mir deutlich machte, ich bekäme gleich etwas zu sehen, was ich lieber nicht sehen würde.
Es war nicht schwer zu raten, was es war.
Barry nickte Gallagher zu. Gallagher hielt die Fernbedienung in Richtung des Rekorders und drückte auf
Play
. Als |291| der Bildschirm aufflackerte, erkannte ich die Szene sofort: Stella auf der Kirmes, ihr lachendes Gesicht, Nicole, die im Hintergrund grimmig schaute. Es war derselbe Ausschnitt, den Sky News die letzten Tage ständig gesendet hatte, nur diesmal mit Ton. Ich hörte Stellas Lachen, das Krachen und Wummern der Fahrgeschäfte im Hintergrund, die Musik, die Menschenmenge, aufgeregte Stimmen...
»Ich bin sicher, das alles hast du schon mal gesehen«, kommentierte Barry. »Das Material wurde von einem unabhängigen Filmemacher namens Jonathan Lomax gedreht. Er hat in den letzten paar Monaten an einer Reportage über Stella gearbeitet, ist mit ihr rumgereist und hat sie gefilmt, wo sie ging und stand... du weißt, was ich meine.«
Er schwieg einen Augenblick, sah auf den Bildschirm und verfolgte die Szene mit Stella und Nic, dann wandte er sich wieder zu mir und fuhr fort: »Leider hat Mr Lomax seinen Film an die Fernsehsender verkaufen wollen, deshalb brauchten wir einige Zeit, ihn zu überreden, uns den Rest des Materials zu zeigen.« Barry warf mir einen Blick zu. »Doch inzwischen haben wir ihn überzeugt. Und es hat sich als sehr interessant erwiesen.« Er nickte Gallagher zu. Gallagher drückte die Taste für den Schnellvorlauf und ich schaute in hoffnungslosem Schweigen zu, wie die unscharfen Bilder unausweichlich auf meine Begegnung mit Stella und Raymond zurasten.
Mum sah mich an. »Weißt du, worum es da geht, Pete?«
Ich nickte nur, unfähig, etwas zu sagen.
Ich hörte es klicken, als Gallagher das Band anhielt, dann noch mal ein Klicken, als er wieder auf
Play
drückte. Der Film startete, der Soundtrack erfüllte den Raum und in den nächsten fünf Minuten sagte niemand mehr etwas. Wir saßen nur alle da, schauten und hörten zu, wie die Kirmeslichter aufblitzten, |292| die Musik plärrte, die Schlagzeuge wummerten... und nach einer Weile spürte ich, wie ich langsam wieder dort war. Ich
spürte
alles noch einmal,
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