Black Rose
über sie in
Erfahrung bringen musste. Nur so würde er eine Chance haben, die Geschworenen
davon zu überzeugen, sie nicht des Mordes schuldig zu sprechen. Er verbrachte
Monate damit, Menschen zu befragen, die sie zu verschiedenen Zeiten in ihrem
Leben gekannt hatten, ehemalige Klassenkameradinnen, ehemalige Verehrer, die sie
als junge Frau begehrt, aber nicht bekommen hatten. Die in endlosen Variationen
erzählte Geschichte lief fast immer auf das Gleiche hinaus: auf Danielles
offensichtliche Gleichgültigkeit gegenüber den Gefühlen anderer. Danielles
Verhalten gegenüber Nelson St. James vor ihrer Heirat war das Muster ihres
Lebens gewesen: Jede Beziehung wurde ausschließlich von ihren Spielregeln bestimmt,
und wer immer ihr etwas zu bedeuten schien, hatte sich ihrer Führung untergeordnet.
Es gab Zeiten, in denen Morrison ihr Verhalten für eine
Schutzmaßnahme hielt, eine Möglichkeit, eine Distanz aufrechtzuerhalten
zwischen sich und den Menschen, mit denen sie sich nicht näher befassen wollte,
dann wieder dachte er, diese Art von Maske sei alles, was sie kannte. Doch
selbst wenn Morrison zu einem Urteil über Danielle St. James kam, konnte er
doch nie daran festhalten. Dazu war er viel zu sehr in sie verliebt.
Dies war ihm jedoch nicht bewusst. Er machte sich weiterhin
vor, dass er sie nur so behandelte, wie er jede andere des Mordes angeklagte
Mandantin behandeln würde. Gefühle für sie konnte er sich nicht leisten, und
ganz gewiss konnte er sich nicht erlauben, nach diesen Gefühlen zu handeln.
Alle Welt sah ihm zu und stellte Fragen, begierig, nicht nur die Wahrheit über Danielle
St. James zu erfahren, sondern auch von ihrem Wissen über ihren Mann und dessen
kriminelle Machenschaften. Der Mord an Wendell Clark und seiner Frau am
Vorabend seines Auftritts als Kronzeuge vor der Anklagejury hatte Gerüchte
entstehen lassen: eines düsterer als das andere. Dann, nur Wochen vor Beginn
des Prozesses gegen Danielle, gab es einen weiteren Mord. Townsend Oliver, der am
selben Wochenende wie Morrison auf der Black Rose zu Gast gewesen war,
war in seinem Appartement am Central Park West im zehnten Stock aus einem
Fenster gestürzt worden.
Danielle schwor, nichts über die Geschäfte ihres Mannes
gewusst zu haben, und ganz gewiss nichts über die kriminellen Aktivitäten,
deren man ihn beschuldigte. Was in jener Nacht an Bord der Black Rose geschehen
war, als sie in einem Anfall von Wut ihren Mann getötet hatte, hatte nichts mit
seinen anderen Straftaten zu tun gehabt; Grund sei ausschließlich das gewesen,
was er ihr angetan hatte. Sie hatte ihren Mann getötet, ihn erschossen, gleich nachdem
er mit ihr geschlafen hatte. Sie hatte noch mit niemandem darüber gesprochen,
bis sie es Morrison erzählte, und auch ihm gegenüber hatte sie zunächst nur
Andeutungen gemacht. Danielle hatte ein Talent zur Verwirrung, die Gabe, Dinge
anders erscheinen zu lassen, als sie waren.
Am Abend vor Prozessbeginn wusste Morrison noch immer nicht,
wie er sie verteidigen würde. Er wusste nur eins: dass er sie auf keinen Fall
aussagen lassen konnte, was auch geschah. Wenn sie den Geschworenen das
erzählte, was sie ihm gesagt hatte, würde er nichts tun können, um sie zu
retten. Er hatte nur eine Chance: die Staatsanwaltschaft zu provozieren, bei
jeder noch so kleinen Ungereimtheit einzuhaken und darauf zu warten, dass die Gegenseite
einen Fehler machte. Morrison lag in seinem Wohnzimmer auf dem Sofa, starrte an
die Decke und ging in Gedanken fieberhaft noch einmal die Anklage auf Mängel
durch, die er womöglich bisher übersehen hatte. Es war kurz nach elf, als der Doorman
klingelte: Mrs. St. James sei da.
»Ich dachte, es gäbe vielleicht ein paar Dinge, die du noch
mit mir besprechen willst.« Sie bemerkte den zweifelnden Ausdruck in seinen
Augen. »Was den Prozess betrifft«, fügte sie schnell hinzu, als sie an ihm
vorbei ins Wohnzimmer trat und sich in einen Sessel fallen ließ. »Oder hast du
vielleicht geglaubt, ich sei hierher gekommen, weil ich mich am Abend vor dem
Prozess einsam und verängstigt fühle? Dachtest du, ich wollte in deinen Armen
Trost finden? Dass wir gemeinsam ins Bett stolpern und uns bis zum frühen
Morgen lieben würden?«
Sie streckte die Beine aus und versank noch tiefer im
Sessel. Ihr Seidenkleid war ihr bis weit über die Knie hochgerutscht. Ihre
offensichtliche Selbstzufriedenheit, die dreiste Gewissheit ihrer Wirkung auf
ihn begannen ihn wütend zu machen.
»Du stehst wegen Mordes vor
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