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Black Swan - Silberner Fluch

Titel: Black Swan - Silberner Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Carroll
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dem sich mir die Nackenhaare aufstellten -, und es entstand ein Strudel in der Luft über uns. Die Blätter und der Müll, der auf dem Boden lag, rührten sich, wirbelten um unsere Füße und stiegen in immer schneller werdenden Kreisen zu der schimmernden Windhose hinauf, die sich am Himmel gebildet hatte. Dort, wo Oberon und ich standen, war die Luft völlig
still. Wir waren im Auge des Sturms, der über uns tobte. Gebannt starrte ich nach oben, unfähig, mich zu rühren. So musste es sich anfühlen, inmitten eines Tornados zu stehen, dachte ich und fürchtete, wenn ich mich auch nur einen Millimeter bewegte, würde der Wind mich erfassen, emporschleudern und zerfetzen. So konnte ich nichts tun, außer den Luftströmen zuzusehen, die über uns wüteten. Erst erschienen sie ganz durchscheinend, dann verdickten sie sich – so wie Pudding auf dem Herd beim Rühren allmählich fest wird. Die Luft verwandelte sich in schimmernde Bänder, in denen die Sylphen mit langgezogenen Körpern und schmerzverzerrten Gesichtern in den Himmel getragen wurden … und dann waren sie verschwunden. Sie zerstreuten sich in viele Millionen Glimmerteilchen, und mit einem entsetzlichen Ruck löste sich die Windhose von der Erde und wirbelte in den Himmel.
    Oberon bewegte die Lippen, aber ich konnte nicht hören, was er sagte. Dann knackte es in meinen Ohren, und ich konnte ihn wieder verstehen.
    »Sie sind weg«, sagte er. »Ich habe sie in den Äther zurückgeschickt.«
    Dann wandte er sich um und ging nordwärts die Promenade entlang, und ich folgte ihm. Eine Wolke Glimmer löste sich von seinem Haar und entzündete die Luft um ihn, als trüge er einen psychedelischen Heiligenschein.
     
    Wir folgten der Promenade bis zur oberen Bethesda Terrace und gingen die Stufen hinunter zu der Engelsfontäne, die majestätisch über der unteren Terrasse und dem See aufragte. Dieser Brunnen, der den Namen Angel Of
The Waters trug, zählte zu meinen Lieblingsstatuen im Park. Meine Mutter hatte mir die Bibelgeschichte von dem Engel erzählt, der in Jerusalem eine heilige Quelle zum Sprudeln gebracht hatte, um die Kranken zu heilen. Die Statue spielte eine Rolle in dem Theaterstück Angels In America und war auch kürzlich in der Fernsehserie Gossip Girl erwähnt worden, aber dennoch wurde ich es nicht müde, das ruhige Gesicht der Engelsfigur zu betrachten, die ihre Hand über den Brunnen streckte, als wolle sie das Wasser segnen. Heute rann zwar kein Wasser aus dem oberen Becken ins untere, aber trotzdem hatten sich viele Menschen um den Brunnen geschart, aßen zu Mittag, redeten oder genossen einfach die Wintersonne. Oberon setzte sich auf den Rand des Beckens und wandte sein Gesicht der Sonne zu. Glimmer lag auf seiner Haut.
    »Was du da gerade mit den Sylphen gemacht hast, war das eine Art Beerdigung?«
    »Ich habe ihren Geist von den Fesseln dieser Welt befreit. Ihre Atome werden von der Erde absorbiert und eines Tages in Blumen und Pflanzen und Bäumen wieder auftauchen, um dann vielleicht wieder von einer Sylphe getrunken zu werden.« Er öffnete die Augen und lächelte. Beinahe hatte ich vergessen, wie es sich anfühlte, wenn er das tat – als striche eine warme, tropische Brise über das Gesicht. »Das ist die Vorstellung der Sylphen von Reinkarnation – als Blume wiedergeboren und von einer anderen Sylphe getrunken zu werden. Es ist nur so …« Sein Lächeln verblasste, und seine Brauen zogen sich zusammen. Er wandte den Kopf ab.
    »Was denn?«
    »Jahr für Jahr gibt es weniger Sylphen. In jedem Winter
geht ihre Population um ein paar Hundert zurück. Wenn die letzte Sylphe stirbt, dann wird niemand mehr da sein, um ihren wiedergeborenen Geist zu trinken, und ihre Rasse wird vergehen. Wie die Sleigh Beggeys oder die irischen Merrows.«
    »Heißt das, Feen und Elfenvölker können aussterben?«
    »Natürlich. Ich sagte doch schon, wir schwinden. Die Welt ist für die meisten zu hart, um zu überleben … aber es gibt dennoch einige wenige, die sich trotz aller Hindernisse weiter durchbeißen.« Sein Lächeln war zurückgekehrt, und er sah über meine Schulter zur oberen Terrasse. Ich folgte seinem Blick zur Treppe, wo eine schwer beladene Gestalt (es war unmöglich zu sagen, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelte) einen vollgepackten Einkaufswagen die Stufen hinunter bugsierte. Als ihr das gelungen war, sah sie auf, und ich erkannte die Obdachlose, die ich vor vier Tagen an der Greenwich Avenue gesehen hatte – die Frau mit dem

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