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Black Swan - Silberner Fluch

Titel: Black Swan - Silberner Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Carroll
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dem Algen wuchsen. Ein Abfluss? Ein Rohr, das Wasser in den See pumpte? Was auch immer es war, wir würden vermutlich wie Reibekäse enden, wenn wir dagegenprallten.
    Ich schloss die Augen und hob den freien Arm, um mich gegen den Aufschlag zu wappnen. Es war schlimmer, als ich erwartete, noch schlimmer als der Unfall, bei
dem der Ford Expedition das Auto meiner Mutter gerammt hatte. Es war, als ob jeder Körperteil im selben Augenblick gegen eine Stahlwand prallte und ich entzweigerissen wurde, und zwar so gründlich, als würde ich in meine Atome zerlegt. Und dann, als ich gerade glaubte, aufgrund des überwältigenden Schmerzes die Besinnung zu verlieren, war er verschwunden. Ich fühlte nur noch das Fließen von Wasser und ein gewichtsloses Schweben.
    Schließlich öffnete ich die Augen – jedenfalls glaubte ich das. Schwärze umgab mich. War ich tot?
    Nein, flüsterte eine seidige Stimme. Das Wassser trägt dich.
    Ich versuchte herauszufinden, woher diese Stimme kam, aber sie war überall um mich herum … und mit diesem Überall erkannte ich, dass die Stimme meinen ganzen Körper durchdrang … doch nein, das stimmte nicht ganz, weil ich keinen Körper hatte.
    Du wirst von der Strömung des Wasssers getragen. Fühlst du es? Wir sind im Trinkwassserstaubecken. Von hier aus können wir in die Hauptwassserleitung tauchen und durch die ganze Stadt reisen. Dee ist irgendwo hier im Rohrsystem. Wir müssen ihn finden.
    Wie? , fragte ich, dachte das Wort nur. Ich kann nichts fühlen oder sehen.
    Das wirst du schon noch. Es dauert eine Weile, bis man sich an den körperlosen Zustand gewöhnt. Ich habe Jahrhunderte in den Quellen unter dem Wald von Broceltande verbracht und in den Gesteinsschichten weit unter der Erde vor mich hin geköchelt. Hier, bevor wir in die Leitung tauchen, sollten wir verdampfen …
    Verdampfen? Das klang gefährlich. Aber ich konnte
bereits fühlen, wie ich leichter wurde und an die Oberfläche drängte. Dann spürte ich Licht und schwebte plötzlich über der schimmernden Haut des Wassers, verband mich mit der Luft, stieß an Libellen und Wasserflöhe, stieg immer weiter und war schließlich über dem Central Park. Ich sah Jogger, die rund um das Staubecken trabten, und die Türmchen des Dakota Buildings, die sich vor dem Horizont abhoben. Dann waren wir über den Dächern, hielten auf die Wolken zu … doch plötzlich fühlte ich mich schwerer werden.
    In leichtem Nieselregen fielen wir wieder auf das Staubecken und sanken in eine Leitung, in der uns eine starke Strömung packte. Obwohl es dunkel war, spürte ich, wo wir uns befanden. Der Kompass, den Noam Erdmann in meine Hand eingepflanzt hatte, pulsierte in jeder Zelle, und so wusste ich, dass wir durch eine große Pipeline in südwestlicher Richtung durch die Insel Manhattan schossen … durch die Pipeline Nummer 1, wie ich plötzlich erkannte. Der Kompasskiesel hatte nicht nur meinen Orientierungssinn geschärft, sondern mir auch ein Gespür für meinen aktuellen Aufenthaltsort verliehen, als sei der Stadtplan New Yorks in meinen Zellen implantiert. Ich war tatsächlich mein eigenes Navigationsgerät! Obwohl wir tief unter den Grundfesten der Stadt waren, wusste ich genau, welche Straßen über unseren Köpfen verliefen. Als wir durch die vertikalen Schächte weiter nach oben schossen, von der kraftvollen Wasserströmung getragen, die aus den Bergen zu Tale und in die großen Pipelines floss, wusste ich genau, wo wir uns befanden, bis hin zur genauen Nummer der Apartments, als wir die Wasserleitungen der Häuser durchströmten. Jedes Mal, wenn wir einen der
Wassertanks auf den Dächern erreichten, konnte ich alle Orientierungspunkte im Umkreis von sechzehn Kilometern genau benennen. Und wenn wir dann durch das verzweigte Leitungsnetz wieder in die große Hauptleitung strömten, wusste ich den genauen Längen- und Breitengrad unserer Position.
    Wir glitten durch jeden Quadratzentimeter der Stadt und benötigten dazu nicht länger, als ich normalerweise für eine U-Bahn-Fahrt vom Village nach Midtown einkalkuliert hätte, aber nirgendwo konnten wir einen Blick auf Dee erhaschen oder seine Fährte aufnehmen. Als wir die Spitze der Insel erreichten, wandten wir uns nach Südosten und stießen in noch dunklere Tiefen vor. Ich hörte rauschendes Wasser und Schiffe, die sich über uns bewegten. Wir waren tief unter der Bucht und hielten auf Brooklyn zu. Melusine war schweigsamer als zuvor, und ich spürte eine Spannung in ihr, die ich auf

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