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Black Swan - Silberner Fluch

Titel: Black Swan - Silberner Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Carroll
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sie willigte ein, nannte jedoch die Bedingung, dass er sie niemals an einem Samstag ansehen sollte. Er war einverstanden, und sie heirateten. Durch sie erlangte er Wohlstand, sie bekamen zehn Kinder und sie erbaute ihm das Schloss von Lusignan. Sie waren glücklich miteinander, bis er eines Samstags seine Neugier nicht mehr bezähmen konnte und er sie im Bad beobachtete: Von der Taille abwärts war sie eine Schlange. Doch er wahrte ihr Geheimnis, bis eines Tages ihr Sohn – ein Monster mit Reißzähnen – hundert Mönche ermordete. Dann wandte er sich gegen seine Frau und warf ihr vor, sie sei schuld am verdorbenen Blut ihres Kindes. Melusine begriff, dass ihr Geheimnis verraten worden war, verwandelte sich in eine geflügelte Schlange und flog davon. Doch später noch erschien sie stets im Schloss, wenn jemandem aus der Familie der Tod bevorstand, und das trug ihr den Titel Banshee von Lusignan ein.
    Konnte dies denn dieselbe sein, dreckverschmiert und vom Alter gebeugt? Wie zur Antwort auf meine unausgesprochene Frage richtete sie sich auf und trat geschmeidig
in das Brunnenbecken. Dann hob sie die knotigen Hände zu der Engelsstatue empor, und Wasser schoss aus den Öffnungen und rann über ihr zum Himmel gewandtes Gesicht. Energisch riss sie an ihrer Kleidung, warf ganze Schichten von Hemden und Pullovern, langen Über- und Unterhosen von sich, bis sie völlig nackt dastand – nackt und wunderschön. Unter dem strömenden Wasser schimmerte ihre Haut im opalisierendem Violett und Grau einer Meeresschnecke, ihr Haar fiel ihr lang und meergrün bis auf die wohlgeformten Hüften, auf denen blaue und grüne Schuppen im Sonnenlicht funkelten. Ihr langer, muskulöser Schwanz peitschte das Wasser und federte sie aus dem Brunnen durch die Luft bis an den Rand des Sees, wo sie sich hinhockte und ihr Spiegelbild bewunderte.
    »Sie sieht nicht ihr Spiegelbild an«, sagte Oberon, der meine Gedanken wahrnahm. »Sie sucht nach Dee. Sie hat die Macht, im Wasser zu sehen. Geh zu ihr, sie bringt es dir bei.« Oberon gab mir einen kleinen Schubs und nahm mir die Tasche von der Schulter, als ich mich ihr vorsichtig näherte. Von allen Geschöpfen, die ich bisher kennengelernt hatte, war sie das bisher bei weitem faszinierendste. Kein Bild einer Meerjungfrau, das ich je gesehen hatte, konnte dem seltsamen Anblick ihres perlmuttschimmernden Körpers Genüge tun, der in einem Schwanz auslief … obwohl ich feststellte, als ich näher trat, dass auch ihre Haut nicht wirklich fleischig war. Sie war mit einer Art chitinartigem Panzer überzogen …
    Ich beugte mich vor, um ihre Arme zu betrachten, die sie unter den Brüsten überkreuzt hatte. Sie wandte sich mir zu, die seegrasgrünen Augen blinzelten, und ich sah
die Schlitze der Kiemen an ihrer Kehle und die langen, zangenartigen Klauen dort, wo ihre Hände hätten sein sollen. Ich wollte zurückweichen, aber dann sah ich ein Bild im Wasser entstehen – ein Gesicht, aber nicht Melusines. Es wirkte vertraut. Ich kniete mich neben sie und beugte mich vor, um besser sehen zu können. Kurz glaubte ich, mein eigenes Spiegelbild vor mir zu haben, doch dann erkannte ich, dass es das meiner Mutter war. Sie bewegte ihre Lippen und sprach zu mir. Noch weiter beugte ich mich vor, wollte hören, was sie sagte … oder die Worte von ihren Lippen ablesen … doch dann verschwanden ihre Züge und wichen denen von John Dee, der mich geradewegs ansah und lachte. Keuchend fuhr ich zurück. Neben mir machte Melusine ein Geräusch – ein Krächzen, das wie der Schrei eines Raubvogels klang, bevor er seine Beute schlägt. Und bevor ich wusste, wie mir geschah, packte sie mein Handgelenk mit ihrer Hummerschere und zog mich mit sich ins Wasser.

Die Quelle

    Mein überraschtes Keuchen war der letzte Atemzug, den ich tat, bevor sich das Wasser über mir schloss. Ich versuchte, so lange wie möglich den Atem anzuhalten, während Melusine mich durch die Kälte hinabzog. Auch versuchte ich mich zu befreien, aber ihr Griff war fest wie eine Zange und schmerzte nur noch mehr, als ich mich wehrte. Dann versuchte ich zu erkennen, wohin sie so schnell schwamm. Der künstliche See konnte doch eigentlich gar nicht so tief sein. Die Sonne schimmerte bis auf den Grund und färbte das Wasser schlammig grün mit goldenen Flöckchen, die an uns vorüberwirbelten, als wir in die Tiefe stießen. In der Düsternis begann sich ein Umriss abzuzeichnen – ein klaffendes, rundes Loch, das mit einem Gitter verschlossen war, an

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