Black Swan - Silberner Fluch
aufstieg. Der Nebel wallte um ihn herum und nahm schließlich grob die Gestalt eines Wesens mit bärenartigen Armen und Beinen an. Der einzige Teil dieses Nebelungeheuers, der klar umrissen zu sehen war, waren die glühenden, gelben Augen. »Der Nebel hat Augen«, sagte Will. »John Dees Augen.«
Mir lief ein Schauer über den Rücken, als das Nebelmonster seine Pranken um den Mann schlang und ihn durch die Löcher des Kanaldeckels in den Schacht zu ziehen begann. Er löste sich bereits auf, da hörte ich noch seine Stimme, wie er brüllte: » Ihr fahrt alle in die falsche Richtung, ihr Arschlöcher! «
Die Transmigration der Atome
Eine Zeit lang konnten wir unsere Fahrt recht ruhig fortsetzen, obwohl ich mit Schrecken auf der Höhe der Vierziger-Straßen auf dem Highway zu unserer Linken einen großen Nebelfleck entdeckte. Als ich länger hinsah, entdeckte ich, dass diese Masse genug Substanz hatte, um von Ebbe und Flut bewegt zu werden – der Hudson River war in seinem Unterlauf auf über hundert Kilometern noch ein Gezeitenstrom – und dass dieses Gebilde entfernt einem Flugzeug glich. Zumindest war es von ungefähr zylindrischer Form und so lang wie ein Footballfeld, zwei flügelartige Flächen ragten aus seiner Mitte, und am Ende lief es in einer Art aufgestellter Heckflosse aus. Wie seltsam, dachte ich zunächst, aber dann fiel mir ein, dass einige Flugzeuge nach dem Start am Flughafen LaGuardia recht niedrig über den Hudson fliegen. Möglicherweise war dieser Nebel ohne Vorwarnung aufgekommen.
»Will«, sagte ich schließlich und stupste ihn mit dem Ellenbogen an. »Was ist das für ein Ding da im Fluss?«
Er sah so schnell aus dem Fenster, dass ich seiner Augenbewegung kaum folgen konnte. Seine Pupillen weiteten
sich alarmiert und verdrängten beinahe das silberne Schimmern der Iris. »Dee legt es langsam auf Massenmord an. Diesen Nebel haben Zwietracht und Verzweiflung geschaffen. Aber ich glaube, die Notrufzentrale würde uns nicht glauben, wenn wir dort anriefen und verlangten, alle Flüge abzusagen. Umso wichtiger ist es …« Er drängte seinen Chauffeur, sich zu beeilen. Der Fahrer trat so fest aufs Gas, dass selbst der sonst so sanft dahingleitende Rolls einen Satz nach vorn machte. Aber wir konnten die Geschwindigkeit nicht lange halten.
Etwa achthundert Meter vor uns sah ich etwas Düsteres, Großes auf der mondsilbernen Straße aufragen. Davor leuchteten Bremslichter wie kleine schimmernde Blüten. Erst leise, dann deutlicher, drangen Aufprallgeräusche an mein Ohr. Als der Rolls ruckartig die Fahrt verlangsamte, kuschelte ich mich an Will. »Was zum …«, brummte er. Dann wurden seine Augen hell, und sein Blick durchdrang die Dunkelheit, als ob seine Augen Suchscheinwerfer wären, aber mir erhellten sie nicht die Sicht, und er bedeutete mir zu schweigen, als ich ihn fragte, was los sei.
Als wir etwa zehn Meter weitergerollt waren, konnte ich es jedoch selbst erkennen. Der dunkle Schatten wuchs zu einer Pyramide ineinander verkeilter Fahrzeuge an, die vorn und hinten stark eingedellt waren. Sie hatte sich hauptsächlich auf der entgegengesetzten Fahrbahn in südlicher Richtung aufgetürmt, ragte aber auch auf unsere Seite. Aus größerer Entfernung im Norden hörte ich das grelle Heulen der Rettungswagen. Der pyramidenförmige Aufbau der Wracks überraschte mich, als sei bei allem verdrehten und verformten Chaos eine gewisse Ordnung
beachtet worden, und ich begriff auch nicht, wieso sich die Auffahrunfälle nur auf der anderen Spur ereigneten.
»Was zur Hölle ist das?«, fragte ich Will erneut.
»Hölle ist schon das richtige Stichwort«, sagte er, drückte jetzt aber doch beruhigend meine Hand. »Dort ist Zwietracht so richtig am Werke. Der Dämon hat an der 96th Street ein Kraftfeld aufgebaut, eine unsichtbare Barriere, und dann hat Dee einen Nebel davor aufwallen lassen, damit die Fahrer in Richtung Süden sie und auch die Autowracks vor sich nicht erkennen können. Und so fährt einer nach dem anderen in die Unfallstelle hinein. Der Dämon hat entweder nicht genug Kraft, um beide Seiten der Straße zu blockieren, oder aber er hat eine noch größere Katastrophe geplant, sobald sich genug Fahrzeuge auf der Strecke nach Norden befinden. Wir haben aber keine Zeit, das herauszufinden. Kannst du Feuerwehr und Notarzt alarmieren, während wir wenden?«
»Wenden?«, fragte ich mit aufgerissenen Augen. Zwar wirkte die völlig leere Gegenfahrbahn äußerst verlockend, aber wir waren durch
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