Black Swan - Silberner Fluch
Maschine nicht sicher auf dem Fluss aufgesetzt, sondern in einen der Wolkenkratzer Manhattans gekracht wäre.
»So etwas gibt einem doch wieder Hoffnung«, sagte mein Vater und wischte sich eine Träne weg.
»Ja«, gab ich mit belegter Stimme zurück, »das stimmt.« Dabei konnte ich meinem Vater gar nicht erzählen, wie viel Hoffnung mir dieses Geschehnis tatsächlich gab – es schien wie ein Zeichen dafür, dass meine Erlebnisse der letzten Wochen doch etwas bedeutet hatten. Ganz allmählich dämmerte es mir, dass die Stelle, wo das Flugzeug gelandet war, genau dieselbe war, an der ich während unserer Autofahrt in der Brandstifternacht dieses seltsame, zigarrenförmige Nebelgebilde gesehen hatte. Soweit ich wusste, hatte es in der besagten Nacht keine Flugzeugkatastrophen gegeben, also hatte jene bösartige Nebelmasse wohl nie die erforderliche Größe oder Dichte erreicht. Und sie war ins Nichts verpufft, als Zwietracht und Verzweiflung ausgelöscht wurden, doch hatte ich fast den Eindruck, als ob dabei sogar noch etwas anderes geschehen war. Als hätten die positiven Kräfte in der Welt – jene, die es uns auch gestattet hatten, unsere Atome übernatürlich
schnell zu bewegen, um Dee rechtzeitig zu stellen -, genau diesen Teil des Flusses unter ihren Schutz gestellt und zu einem Zufluchtsort gemacht. Den das Flugzeug dann tatsächlich gefunden hatte.
Und wenn es dann so um die Welt stand und an vielen Orten etwas Derartiges passiert war, lag das dann daran, dass ich Dee die Schatulle abgenommen hatte? Die Nachrichten gaben keine Antwort darauf. Die Wirtschaftslage war noch immer schlecht, die Immobilienpreise gingen beharrlich in den Keller, Autokonzerne standen vor dem Aus und die Arbeitslosigkeit erreichte jede Woche neue Höhen. Doch trotzdem schien sich ein vorsichtiger Optimismus auszubreiten. Fünf Tage nach Captain Sullenbergers Notlandung auf dem Hudson saß ich zwischen Jay und Becky auf dem Sofa, und wir sahen uns an, wie Barack Obama als 44. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika vereidigt wurde, und ich war tief bewegt, als ich ihn sagen hörte: »Wir haben uns an diesem Tag hier versammelt, weil wir uns für die Hoffnung und gegen die Angst entschieden haben, für das Zusammenstehen zum Erreichen unserer Ziele und gegen Konflikt und Zwietracht.«
Auch in meinem privaten Umfeld setzte sich die Hoffnung immer stärker durch. Becky hatte ich schon lange nicht mehr so glücklich gesehen wie jetzt, und das war größtenteils dem Einfluss von Joe Kiernan zuzuschreiben. Er hatte sie jeden Tag im Krankenhaus besucht und später, als sie entlassen wurde, war er bei jedem Konzert von London Dispersion Force erschienen. Zuerst hatte Becky sich gegen die Vorstellung gesperrt, mit einem Cop auszugehen, aber Joe gewann sie schließlich doch für sich,
indem er immer wieder betonte, wie froh er war, dass sie KEINE Anwältin war. Jay nahm er für sich ein, indem er ihm zustimmte, dass ein Plattenvertrag bei einem großen, kommerziellen Label ein Fehler sein würde und die Band besser daran täte, ihr eigenes Indie-Label aus der Taufe zu heben. Er hatte einen Cousin in Brooklyn, der die nötige Ausrüstung und genügend Platz für ein solches Unternehmen hatte. Ich gönnte Becky ihr Glück mit Joe von Herzen, obwohl die Wochen verstrichen und ich nichts von Will hörte oder sah.
Vielleicht war es Beckys hoffnungsvolles Beispiel, das mich eines eisblauen Morgens mit dem warmen, neuen Gedanken erwachen ließ, dass Will vielleicht nur deshalb zögerte, sich mit mir in Verbindung zu setzen, weil ich wegen des Diebstahls böse auf ihn sein würde, und dass es an der Zeit war, mich bei ihm zu melden. Zunächst überlegte ich, ihn eines Abends mit einem Besuch zu überraschen, aber sein Schweigen hatte mich ziemlich verletzt und zudem vorsichtig werden lassen. Daher entschloss ich mich stattdessen, ihm erst einmal eine kurze Nachricht zukommen zu lassen. Mit viel Sorgfalt suchte ich eine Grußkarte ohne Text aus – das Motiv zeigte ein junges Paar, das auf der Plattform des Empire State Buildings in den 1940ern Händchen hielt – und schrieb lediglich, ich hätte unsere Abenteuer sehr genossen und würde ihn vermissen. Nur ein Satz, und kein Wort von der Schatulle. Nach längerem Ringen gab ich »In tiefer Zuneigung, Garet« den Vorzug vor »in Liebe«, schickte die Karte an sein Apartment und bekam sie eine Woche später mit dem Vermerk »Empfänger unbekannt verzogen« wieder zurück.
Das war ein
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