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Black Swan - Silberner Fluch

Titel: Black Swan - Silberner Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Carroll
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klar, woran es mich erinnerte – an den Heidegarten im Fort Tryon Park in jener Nacht, als ich mit Will zum ersten Mal dort gewesen war, nachdem sein Blut in meinen Adern meine Sehkraft verstärkt hatte.
    Mit den Augen voller Tränen wandte ich mich an Zach. »Wie hast du …?«, setzte ich an und wollte ihn fragen, wie es ihm gelungen war, mit Vampiraugen zu sehen, aber nun entdeckte ich, dass mein Vater, der neben ihm stand, ebenfalls mit feuchten Augen auf das Bild sah.
    »Wenn ich das hier betrachte«, sagte Roman, »dann
sehe ich den Jardin du Luxembourg, als ich zum ersten Mal mit Margot dort spazieren ging.«
    Zach nickte, und mir wurde klar, dass Zach nicht etwa einen übernatürlichen Gesichtssinn genutzt hatte, um dieses Bild zu gestalten, sondern nur den Blick der ersten großen Liebe. Aber wen mochte Zach so geliebt haben? Ich beobachtete ihn, als er uns ein neues Gemälde nach dem anderen zeigte – seit Dezember waren mehr als ein Dutzend entstanden, und jedes zeigte eine atemberaubende Explosion aus Farbe und Form. Mein Vater betrachtete inzwischen nicht mehr die Bilder, sondern mich und meine Reaktion. Als Zach etwas holen ging, das er, wie er sagte, mir geben wollte, wandte sich mein Vater an mich und fragte mit leiser Stimme:
    »Bin ich verrückt, oder haben die hier …«, er machte eine Handbewegung zu den lichterfüllten Bildern, »… das gewisse Etwas?«
    »Oh, das haben sie ganz gewiss«, nickte ich. »Nicht nur etwas, sondern eine ganze Welt liegt in diesen Bildern. Ich frage mich nur …« Nun senkte auch ich meine Stimme. »Hat Zach einmal jemanden geliebt, den er verloren hat?« Eigentlich erwartete ich, dass mich mein Vater fragen würde, wie ich darauf gekommen sei – wie hätte ich die Geschichte einer tragischen Liebe aus ein paar abstrakten Farbtupfen herauslesen können? Aber er tat es nicht. Stattdessen lächelte er traurig und sagte: »Hast du das nicht gewusst? Zach war in deine Mutter verliebt.«
    Tausend Fragen drängten sich mir auf. Wie lange? Wusstest du davon? Hatten sie eine Affäre? Aber nun kam Zach mit einem aufgerollten Stück Papier zurück, das er mir reichte. »Das ist mir neulich wieder in die Hände gefallen,
als ich ein paar alte Skizzenbücher durchgesehen habe. Ich dachte, du hättest es vielleicht gern.«
    Zwar hatte ich gewusst, dass Zach eine klassische Ausbildung durchlaufen hatte, bevor er ins abstrakte Fach gewechselt war, aber ich hatte nie ein Bild von ihm gesehen, das nicht abstrakt gewesen wäre. Doch vor mir lag ein Porträt meiner Mutter, eine Bleistiftzeichnung. Sie saß an einem See und betrachtete ihr Spiegelbild im Wasser.
    »Danke, Zach«, sagte ich. »Es ist wunderschön.« Als ich aufsah, lächelte mein Vater seinen alten Freund an. Nun erkannte ich auch, weshalb die beiden Männer einander so nahestanden – wieso mein Vater Zach über all die Jahre der kreativen Blockade beigestanden hatte, und wieso Zach jeden Tag im Krankenhaus am Bett meines Vaters aufgetaucht war. Sie einte die Tatsache, dass sie beide dieselbe Frau geliebt und verloren hatten. Vielleicht hätte ich das früher nicht verstanden, aber nun tat ich es. Wenn ich jemanden gekannt hätte, der Will ebenso geliebt hatte wie ich – Marguerite D’Arques oder Madame Dufay zum Beispiel -, dann wäre ich auch nur zu gern ihre Freundin gewesen.
    Als der Winter allmählich seine Kraft verlor und der Frühling kam, hielten mich vielerlei Dinge in Atem. Zu unserer Überraschung waren Sotheby’s in Paris daran interessiert, die Pissarros im Rahmen ihrer Impressionisten-Auktion im Frühjahr anzubieten, und ich musste mich um den Papierkram, die Katalogeinträge und den Versand nach Übersee kümmern.
    Außerdem hatte ich eine ganze Reihe von Aufträgen für neue Siegelmedaillons. Die Rezession hatte mein Unternehmen eher gestärkt, da nun Schmuck zu moderatem
Preis und mit Sinnsprüchen wie »Hoffnung«, »Glaube« oder »Gestärkt durch harte Zeiten« plötzlich Konjunktur hatte. Zunächst fiel es mir schwer, mit meiner vernarbten rechten Hand zu arbeiten, aber schließlich erwarb ich wieder genug Geschick mit dem Lötkolben. Doch eines gelang mir nicht mehr, nämlich das Fingerschnippen mit dieser Hand. Von daher wusste ich nicht, ob ich wirklich Feuer hervorrufen konnte, aber oft fühlte ich ein Ziehen in der Handfläche, das direkt nach Norden zu deuten schien. Dieser Umstand und die Fähigkeit, Auren zu erkennen und Gedanken zu hören, waren mein einziger Beweis dafür, dass ich

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