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Black Swan - Silberner Fluch

Titel: Black Swan - Silberner Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Carroll
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das, was geschehen war, tatsächlich erlebt hatte. Manchmal fragte ich mich, ob diese Talente ebenfalls Ausgeburten meiner Fantasie waren, aber solche Bedenken unterdrückte ich mit viel Arbeit, ebenso wie die Versuchung, meine diesbezüglichen Kräfte zu erproben, indem ich im Geiste Ratespielchen spielte oder darüber nachdachte, vom Empire State Building zu springen.
    Doch am meisten hielt mich die Vernissage in Atem, die unsere Galerie mit Zachs neuen Bildern plante und die in der letzten Maiwoche am gleichen Tag wie die Sotheby’s-Auktion in Paris stattfinden sollte. Zuerst hatte ich Sorge, dass mein Vater uns zu wenig Zeit gelassen hatte, die Ausstellung angemessen zu bewerben, aber das erwies sich als grundlos; der Event schien sich geradezu von allein herumzusprechen. Die ganze Kunstszene war begeistert von der Vorstellung, dass ein verblasster Star vor seinem Comeback stand. »Ich glaube, die Leute wollen gute Nachrichten«, hatte Captain Sullenberger bescheiden erklärt, als er von der Öffentlichkeit wegen seiner heldenhaften
Landung gefeiert wurde. »Ich glaube, sie wollen wieder Hoffnung spüren.« Vielleicht war es lediglich ein neuerliches Zeichen der Hoffnung, wenn ein vergessener, alkoholkranker Maler das Ruder herumriss und fantastische neue Werke schuf. Vor der Eröffnung herrschte bereits so viel Aufregung, dass ich Angst hatte, für Zach könne der Druck zu viel werden, aber er nahm alles mit viel Humor und strahlte eine solche Ruhe und Sicherheit aus, wie ich sie nie zuvor bei ihm erlebt hatte. Als die Bilder aufgehängt waren, wurde auch mir schließlich klar, dass es nichts gab, worüber man sich Sorgen machen müsste. In der einsamen Galerie, kurz bevor die Ausstellung eröffnet wurde, waren die Leinwände selbst von einer Aura von Frieden und Schönheit umgeben.
    »Überraschend«, hörte ich einen Professor der New York University vor einer Gruppe Kunsthochschüler dozieren, »wenn man sich die turbulente Geschichte dieses Künstlers vor Augen hält. Aber der Aufruhr aus Farben und Bewegung scheint den Betrachter durch große, aufrüttelnde Erfahrungen zu hart erkämpfter Klarheit und Gelassenheit zu führen.«
    Ich fragte mich, welche Erfahrungen der Professor in diesen Bildern sah. Die Ausstellung trug den Titel »Elemente«, und die vier größten Gemälde waren Luft , Erde , Wasser und Feuer benannt. In ihnen sah ich meinen Flug über die Stadt, die Sehnsucht Melusines nach den reinen Quellen, den Schmerz in Noam Erdmanns Augen, als er den Kompasskiesel in meine Hand hineindrückte, und einen Feuerstoß, der am Ufer von Governors Island brannte und dessen Flammen bis zu den Sternen hinaufschossen. Und ich sah auch den letzten Flug
der Sylphen, als Oberon ihre Seelen in den Äther entließ, und ein fackelbeleuchtetes Gartenfest im Versailles des 18. Jahrhunderts. Als ich durch die Galerie wandelte, hörte ich, wie ein abgebrühter Kunstkritiker davon schwärmte, dass ihn eines der Ausstellungsstücke in den Garten seiner Großmutter zurückversetzt hatte, und eine junge Hedgefonds-Managerin sagte, eines der anderen Bilder ließe sie an einen idyllischen Sommer in ihrer Teenagerzeit denken, als sie als Rettungsschwimmerin an den Stränden von New Jersey gearbeitet hatte. Doch unabhängig davon, was die Galeriebesucher in Zachs Bildern sahen, sie alle wollten sie. Jedes Bild war noch vor Ende der Vernissage verkauft.
    Zusammen mit der überglücklichen Maia (die durch ihre Provision an den Verkäufen von Zachs Bildern genug Geld beisammen hatte, um ein Studio in Williamsburg anzahlen zu können) räumte ich anschließend auf, und nachdem ich die Galerie abgeschlossen hatte, fand ich meinen Vater und Zach in der Küche bei einem Glas Champagner.
    »Komm und stoße mit uns an, Schatz«, lud mich mein Vater ein, als ich mich müde an den Tisch setzte.
    »Gern«, nickte ich und nahm eine der Baccarat-Kristallflöten, die meine Eltern einst von ihrer Hochzeitsreise nach Paris mitgebracht hatten, aus Zachs ruhiger Hand. Ich sah meinen Vater an und rief mir in Erinnerung, wie angespannt und sorgenvoll er noch fünf Monate zuvor ausgesehen hatte, an jenem Abend, als ich mit der Silberschatulle aus John Dees Geschäft nach Hause gekommen war. Nun wirkte er nach der verheilten Schussverletzung und dem einwöchigen Aufenthalt im Krankenhaus glücklich
und entspannt, und der Erfolg von Zachs Ausstellungseröffnung ließ ihn geradezu strahlen.
    »Auf eine erfolgreiche Vernissage«, sagte ich und hob

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