Black Swan - Silberner Fluch
schwerer Schlag – ich weinte den ganzen Tag. Aber dann kam mir ein neuer Gedanke: Es würde sicherlich mehr Aufwand gekostet haben, Black Swan Partners aus dem Verkehr zu ziehen, als lediglich die Privatwohnung auszuräumen. Zwar traute ich mich nicht, mich direkt in seinem Büro zu melden, aber ich rief Chuck Chennery an und ließ mir unter dem Vorwand, ich sei ein Investor, eine Liste mit Hedgefonds-Webadressen zuschicken, die es mir vielleicht ermöglichen würden, irgendeine Kontaktadresse von Wills Fonds zu bekommen. Auf der ersten Seite, Hedge World, erfuhr ich, dass Black Swan zum Ende des letzten Jahres die Geschäfte eingestellt hatten; für alle Partner, die weitere Informationen benötigten, war ein Postfach auf den Cayman-Inseln angegeben. Ich steckte die Karte in einen neuen Umschlag, aber ohne große Erwartungen. Tatsächlich kam dieser Brief mit dem »Empfänger unbekannt«- Vermerk sogar schneller aus der Karibik zurück als von seiner kurzen Reise quer durch Manhattan.
Verzweifelt rang ich mich schließlich dazu durch, bei Hedge World anzurufen, in der Hoffnung, vielleicht mit jemandem zu sprechen, der Will oder Black Swan kannte und zufällig in mitteilsamer Laune war. Die dortige Empfangsdame, die noch sehr jung klang, war sehr entgegenkommend, erklärte mir aber: »Will Hughes war für seine Zurückgezogenheit berüchtigt, als er noch einen Fonds leitete. Einmal versuchte jemand, ein Treffen mit ihm und einem Investor zu arrangieren, und er bestand darauf, dass es zwischen zwei und drei Uhr morgens stattfand. Nun, da er seinen Fonds geschlossen hat, wird er sicherlich nur sehr schwer aufzuspüren sein, fürchte ich.«
Und so musste ich die Suche nach Will schließlich aufgeben. Wie auch bei Lol würde ich wohl auch nur dann von ihm hören, wenn er sich dazu entschloss – wenn überhaupt jemals.
In der letzten Februarwoche führte mich mein Vater in Zach Reeses Atelier. »Er hat seit Mitte Dezember ohne Unterbrechung gemalt«, berichtete mir Roman in einer für ihn ungewöhnlich vagen und verhaltenen Weise, als sei er sich nicht ganz sicher, wie er das, was er gesehen hatte, beschreiben sollte. »Seine Werke jetzt sind … anders … kontrollierter vielleicht als die frühen Bilder, aber gleichzeitig auch leuchtender … na, du wirst schon sehen. Ich wüsste gern, was du davon hältst. Vielleicht bin ich ja auch befangen.«
Zach wohnte und arbeitete seit Ende der Siebziger in einem Loft an der Mercer Street – einem der ersten, das in dieser Gegend entstanden war, als die früheren Lagerhäuser in Studios und Wohnräume umgebaut wurden. Schon als ich noch klein war, hatte ich ihn mit meinem Vater dort besucht, und damals hatte mir der große Eisenhaken, der im ersten Stock hing, ebenso viel Angst eingejagt wie die klappernde Metalltreppe, die zum Studio hinaufführte. Doch wenn man erst einmal dort war, dann fühlte man sich wie in einem Zirkus oder einem tropischen Garten. Auf großen Leinwänden verteilten sich Farben, Farbeimer standen aneinandergereiht wie Eiscremebehälter da, und alles, die Wände, der Boden, die Abdeckfolien für die Bilder, war voller bunter Farbspritzer, die aussahen wie Konfetti, das von einer Parade liegen geblieben war. Über die Jahre waren die Bilder verschwunden, die Farbeimer verschlossen und an den Wänden aufgestapelt, die Abdeckplanen
weggeworfen worden. Nur die Spritzer an den Wänden und auf dem Boden lieferten noch ein stummes Zeugnis des kreativen Geistes ab, der diesen Ort einmal beherrscht hatte, aber als sie im Laufe der Zeit verblichen, sahen sie immer mehr wie Blutspritzer aus, die von einem schrecklichen Massaker kündeten. Der Geruch von Terpentin war ebenfalls verflogen, und nun lag nur noch der beißende, medizinische Wodkadunst in der Luft.
Aber als ich an einem kalten, sonnigen Tag im Februar mit meinem Vater die Stufen emporstieg, roch ich wieder Terpentin und Farbe. Zach öffnete uns mit leuchtenden Augen die Tür, einen Pinsel in der ruhigen Hand, die Kleidung voller frischer Farbflecke. Ich hatte das Atelier kaum betreten, als eine große Leinwand meine Aufmerksamkeit auf sich zog … und mir beinahe der Atem stockte. Glühende Farben leuchteten vor einem dunklen Hintergrund, der nicht ganz blau, schwarz oder lila, sondern irgendwie alles davon war. Zunächst hielt ich die Farbflecke für abstrakt, aber bei genauerem Hinsehen erkannte ich die Formen auf dem Gemälde – Figuren, Blumen, Flügel. Erst nach einigen Minuten wurde mir
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