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Black Swan - Silberner Fluch

Titel: Black Swan - Silberner Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Carroll
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bevor er sie aussprach. Sofort hatte ich die ganze Szene im Kopf, den Streit mit Becky und Fiona und dem Schallplattenproduzenten nach der Show. Becky hatte Jay ein Relikt aus den Sechzigern genannt, und Fiona hatte ihm gesagt, er solle endlich mal erwachsen werden. Der Produzent hatte ihn schließlich herablassend angelächelt und ihm geraten: »Geh nach Hause und schlaf mal eine Nacht darüber, Mann. Morgen früh wird dir auch klar sein, wohin die Reise gehen sollte.« Und dann hatten sie zusammen am Tisch gesessen und gelacht, als Jay den Club verließ.
    »Ich glaube, ich steige aus der Band aus«, sagte er jetzt und schlug einen Akkord auf der Gitarre. »Wer hätte gedacht, dass ich mal der Stuart Sutcliffe der Gruppe sein würde?«
    Mir tat diese Anspielung auf den »fünften Beatle« weh, jenen Bassisten, der kurz, nachdem er die Band verlassen hatte, an einer Gehirnblutung gestorben war. »Oh, Jay«, sagte ich und legte ihm die Hand auf den Arm, »das ist im Augenblick keine gute Zeit für solche Entscheidungen.
Die Leute sind alle … angespannt. Vielleicht solltest du nichts überstürzen.«
    »Ja, kann sein. Zeit habe ich ja genug.« Sein tapferes Lächeln wirkte umso herzzerreißender, da ich dazu die Worte in seinem Kopf hörte: Wenn auch sonst nichts.
     
    Als ich die Tür meines Studios hinter mir schloss, war ich völlig erschöpft, aber mir war klar, dass ich keinen Schlaf finden würde. Sobald ich die Augen schloss, sah ich die schlaffen, ausgesaugten Körper der Lichtsylphen – oder Jays Gesicht, aus dem ebenfalls alle Freude gewichen zu sein schien. Ich setzte mich an meinen Arbeitstisch und dachte flüchtig darüber nach, ob ich ein paar Gussformen für neue Medaillons anfertigen sollte. Da waren noch einige Aufträge, die ich längst hätte erledigen sollen. Aber dann erinnerte ich mich daran, was geschehen war, als ich das letzte Mal völlig übermüdet den Gasbrenner angeworfen hatte. Also lehnte ich mich auf dem Stuhl zurück und sah aus dem Fenster, beugte mich noch etwas weiter nach hinten und blickte zum Oberlicht empor. Das Sperrholz, das Becky auf den Rahmen genagelt hatte, war an einer Stelle lose. Eine einfache Reparatur würde ich jetzt wohl ausführen können. Mit einem Hammer konnte ich mich ja nicht allzu schlimm verletzen, oder?
    Also kletterte ich auf den Werktisch und streckte mich nach der Holzplatte, aber ich konnte sie mit den Fingern kaum erreichen. Irgendwie hatte Becky, die fast zwanzig Zentimeter kleiner war als ich, es aber doch auch geschafft, dort hinzukommen. Sie hatte es offenbar den Einbrechern gleichgetan und war auf das Lagerregal für den Metallschrott gestiegen, so wie wir es schon zu Highschool-Zeiten
stets gemacht hatten, wenn wir aufs Dach hinaus wollten. Als ich meinen Fuß auf einen der Böden setzte, fragte ich mich, ob ich inzwischen schwerer war als damals, und ob mich das Regal tragen würde; dann sagte ich mir jedoch, es hatte schließlich auch dem Gewicht der Einbrecher standgehalten. Davon abgesehen war ich gerade erst über Manhattan geflogen. Wovor hatte ich also Angst?
    Oben auf dem Regal fand ich den Zimmermannshammer, den Becky vermutlich schon benutzt hatte, und zog mit der Klaue die Nägel aus dem Brett. Sie fielen klappernd einer nach dem anderen auf den Arbeitstisch. Als das Brett sich löste, legte ich es oben aufs Regal. Ein kalter Windstoß fuhr durch das kaputte Oberlicht. Über mir sah ich den klaren Nachthimmel voller Sterne. Waren sie über der Stadt schon jemals so hell gewesen – oder lag es an meiner verstärkten Wahrnehmungskraft, dass sie nun wie eine Million Diamanten auf einem Samtmantel funkelten?
    Nun dachte ich nicht mehr an die Reparatur, sondern kletterte die übrigen Regalbretter hinauf und zog mich durch das Fenster aufs Dach – glücklicherweise hatte Becky zuvor den Rahmen von Scherben gesäubert. In den Sommernächten, in denen Jay und ich uns Jazzplatten anhörten, hatten wir hier oben gesessen und Bourbon getrunken, den wir in Romans Bar gefunden hatten. Ich hatte ganz vergessen, wie schön die Aussicht war und wie befreiend es sich anfühlte, hier draußen zwischen den Wassertürmen und den versteckten Dachgärten der anderen Gebäude zu stehen. Die Dächerwelt der Stadt war mir, ebenso wie das Netz von Röhren und Tunneln unter der Erde, stets wie eine ganz eigene, geheime Welt erschienen.
Dabei hatte ich nicht geahnt, wie Recht ich damit hatte! Feen und Goblins hielten in der Unterwelt Hof, und Geisterwesen und

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