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Black Swan - Silberner Fluch

Titel: Black Swan - Silberner Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Carroll
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leuchtenden Stadt zu unseren Füßen. Wir standen jetzt auf der südlichen Seite der Aussichtsplattform und konnten sowohl den East River als auch den Hudson River sehen; der Blick reichte weit über die Bucht von New York und bis zur Verrazano Narrows Bridge. Von dem Nebel, den wir am Vortag in der Innenstadt am Ende der Cordelia Street gesehen hatten, war keine Spur. »Irgendwie muss Dee einen Hauch von seinem Dunst in den Park entsandt haben«,
vermutete Oberon. »Aber ich weiß nicht, wie er ihn dorthin bewegt hat.«
    »Vielleicht versteckt er sich irgendwo im Park«, schlug Ariel vor.
    Oberon schüttelte den Kopf. »Nicht unbedingt. Er kann ihn offenbar von Ort zu Ort manövrieren. Wir müssen herausfinden, wie er das macht, und auf diese Weise herausbekommen, wo er sich aufhält.«
    »Vielleicht hat im Central Park jemand gesehen, aus welcher Richtung der Nebel kam«, meinte Ariel.
    »Aber er hat all die Sylphen getötet«, erinnerte ich und erschauerte bei dem Gedanken an die winzigen ausgesaugten und verschrumpelten Leichen. »Hätte denn jemand den Nebel überleben können?«
    Oberon und Ariel sahen einander kurz an, dann nickte Oberon. »Wir werden morgen zu ihr gehen. Es sollte eigentlich nicht Garets nächste Lehrstunde sein, aber es hat keinen Zweck, das aufzuschieben.«
    »Meine nächste Lehrstunde?«, schaltete ich mich ein. »Du meinst, Fliegen und Power-Hören reicht noch nicht?« Es sollte ein Witz sein, aber der sorgenvolle Blick, den sich die beiden zuwarfen, ließ vermuten, dass sie daran zweifelten, ob überhaupt irgendetwas genügen würde.
     
    Oberon hielt mir auf der 5th Avenue ein Taxi an. Bevor ich einstieg, reichte er mir schnell noch eine Haftnotiz mit einer Adresse in Midtown und sagte, er würde sich dort um zwölf Uhr mittags mit mir treffen. »Schlaf ein bisschen«, riet er mir, als er die Autotür schloss. »Morgen wird ein langer Tag.«
    Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er länger werden
konnte als der, den ich gerade hinter mich gebracht hatte – und ich fühlte mich auch kaum in der Lage, mir noch irgendwelche anderen neuen Fähigkeiten anzueignen. Als das Taxi die leere Straße entlangfuhr, stürzten von überall her Stimmen auf mich ein. Der Taxifahrer grübelte darüber nach, wie er genug Geld sparen konnte, um seine Frau und die drei Kinder aus Mumbai zu sich zu holen. Der Mann im Ford Explorer, der neben uns an der Ampel stand, fürchtete, nicht mehr rechtzeitig nach Englewood zu kommen, bevor seine Frau aufwachte und sich überlegte, dass er sich vielleicht nicht nur aus beruflichen Gründen noch so spät in der Stadt herumtrieb … Zudem hatte er seinen Job ohnehin schon vor drei Wochen verloren, aber nicht gewagt, ihr oder seiner Geliebten etwas davon zu erzählen.
    Wir hatten höchstens eine Minute an der Ampel gehalten, aber es hatte genügt, um ganz und gar in das Leben dieses Mannes hineingezogen zu werden. Als wir noch am Himmel kreisten, waren die Stimmen zu diffus gewesen, um wirklich erfasst zu werden. Hier unten auf der Straße waren sie viel lauter. Allein im Vorbeifahren erfuhr ich die geheimen Gedanken des Paares, das Arm in Arm über die 14th Street ging: Sie hatte Angst, dass er sie gar nicht liebte, und er hatte sogar noch mehr Angst, dass er das tatsächlich tat. Die Nachtschwärmer im Meat Packing District überschwemmten mich mit Angst und Anspannung, Lust und Unsicherheit. Empfanden die Menschen immer so viel Furcht, fragte ich mich, oder war das Dees Schuld? Und wie sollte ich einen klaren Gedanken fassen, um den Alchemisten zu finden, wenn ich schon um drei Uhr morgens in einem Taxi derartig von Stimmen überwältigt
wurde? Wie mochte es sich dann erst anfühlen, am hellen Mittag durch die Stadt zu gehen?
    Die Stimmen in meinem Kopf beschäftigten mich so sehr, dass ich gar nicht merkte, dass wir schon vor unserem Haus angelangt waren.
    »Wir sind da, Miss«, sagte der Taxifahrer laut. Nutte , fügte er in Gedanken hinzu. Ich war so verblüfft, dass ich beinahe die Geldscheine fallen ließ, die ich ihm durch den Spalt in der Plexiglasscheibe hatte reichen wollen. In seinem Kopf entdeckte ich ein Bild von Oberon – einem großen Farbigen mit langem schwarzen Ledermantel, der mich um drei Uhr früh in ein Taxi verfrachtete. Am liebsten hätte ich ihm eine Entgegnung an den Kopf geworfen – Das war kein Zuhälter, du Arschloch, das war der König der Schatten! -, aber das hätte mir vermutlich auch nicht weitergeholfen. Stattdessen steckte ich

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