Blackbirds
ihr der rote Sabber von der Unterlippe baumelt. »Ich bin das nicht. So ist es eben mit dem Schicksal. Was das Schicksal will ...«
»... das kriegt das Schicksal«, unterbricht Louis. »Ich weiß. Das sagst du oft.«
»Meine Mutter hat immer gesagt ...«
»... es ist, was es ist. Diese olle Kamelle kenne ich auch.«
»Fick dich! Du bist nicht real!«
»Noch nicht. Aber nur noch knapp ein Monat, dann werde ich es sein. Ich werde eine weitere Leiche in deinem Keller sein, ein weiteres Gespenst in deinem Kopf. Das hin und her schwebt und pendelt und ächzt und stöhnt.«
»Ich kann dich nicht retten.«
»Offenbar nicht.«
»Geh zum Teufel!«
Er zwinkert ihr zu. »Ich treffe dich dort. Pass auf diese ...«
Die Schippe knallt zwischen ihre Schulterblätter. Sie spürt, wie tief in ihr etwas zerbricht. Ihre Schenkel werden nass. Der Schmerz ist intensiv.
»... Schaufel auf.«
ACHT
Farbenlehre
Der Morgen danach.
Fünf Männer (die Studenten-Vollidioten mitgezählt). Ein Todesfall. Jede Menge Gewalt. Eine erfolgreiche Nacht für Miriam Black.
Sie betrachtet sich im Spiegel und hat die Hände auf das Waschbecken in Ashleys Bad gelegt. Sie raucht eine Zigarette, bläst den Rauch gegen das Spiegelbild, sieht zu, wie Rauch auf Rauch trifft.
Alles in allem ist es dieser Orgasmus, der sie wirklich beunruhigt.
Es ist nicht der Sex. Sex kommt vor – zum Teufel, Sex kommt so oft vor, dass er für sie ein Hobby ist wie für andere Leute Scrapbooking oder Baseballkartensammeln. Na und? Ihr Körper ist kein Tempel. Er war es vielleicht einmal, aber er hat seinen geheiligten Status vor langer Zeit verloren ( vor knapp über acht Jahren , ruft ihr diese böse kleine Stimme ins Gedächtnis), weil zu viel Blut auf dem Altar vergossen wurde.
Aber da ist dieser Orgasmus. Das ist neu.
Sie hat schon wie lange keinen mehr gehabt? Sie nimmt noch einen Zug von der Marlboro, während sie versuchtdahinterzukommen. Es gelingt ihr nicht. Es ist, als löse sie halb betrunken schwierige Matheaufgaben. So lange ist das her.
Und dann letzte Nacht? Wumm! Peng! Feuerwerk. Fontänen spritzen auf. Einundzwanzig Böllerschüsse, Rakete schießt zum Mond, ein Pavarotti-Konzert, das Universum explodiert und implodiert anschließend und explodiert dann wieder.
Ein rotes Blinklicht. Ein Alarm, der losgeht.
Und was war es, das ihn ausgelöst hat?
Sie presst den Kopf gegen den Spiegel. Er ist kalt auf ihrer Haut.
»Es ist offiziell«, sagt sie dem Spiegel. »Du bist völlig kaputt. Unreparierbar.« Sie hat die Vorstellung einer Porzellanpuppe, die durch Pfützen von Blut, Schlamm und Scheiße geschleift und dann in die Luft geworfen wird, dort mit den Armen rudert, bis sie mit dem Kopf voran gegen den Kühlergrill eines entgegenkommenden Sattelschleppers knallt. Die Puppe sieht wie sie aus.
(Ein roter Ballon steigt in den Himmel auf.)
Zeit, zu machen, was Miriam am besten kann.
»Zeit, mir die Haare zu färben!«, zwitschert sie.
Das ist ihr wahres Talent: die Fähigkeit, sich den Kopf von allem freizumachen. Einfach alles mit harten Ellbogen und Kopfstößen aus dem Verstand hinauszuschubsen. Zen und die Kunst der Verdrängung.
Sie macht ihre Tasche auf und holt zwei Schachteln raus. Sie hat sie ein paar Tage vorher in einem schmuddeligen Drogeriemarkt in Raleigh-Durham gekauft, und mit ›gekauft‹ meint sie ›mit einem Fünf-Finger-Rabatt‹.
Es ist Haarfarbe. Billigste miese Farbe für billigste miese Mädchen. Eine erwachsene Frau mit einem Funken Selbstachtung hätte niemals so eine Marke gekauft und würde sich niemals die Haare in solchen Farben färben – Schwarzdrosselschwarz und Vampirrot. Aber während Miriam rein rechtlich als Erwachsene durchgeht, zählt sie sicherlich nicht als eine mit einem Quäntchen Selbstachtung, oder?
Zur H.Ö.L.L.E., nein!
Sie streckt den Kopf aus der Badezimmertür. Ashley liegt wieder auf dem Bett, die schweren Lider halb geschlossen. Im Fernseher läuft (Spongebob Schwammkopf) irgendeine Vormittagstalkshow.
»Langer Tag im Büro, Schatz?«, fragt sie.
Er blinzelt. »Wie spät ist es?«
»Halb zehn. Zehn. Schulterzuck.«
»Hast du gerade Schulterzuck gesagt, statt tatsächlich mit den Schultern zu zucken?«
Miriam ignoriert die Frage und hält stattdessen die beiden Schachteln zur Ansicht hoch, eine in jeder Hand. »Guck mal! Schwarzdrosselschwarz. Vampirrot. Such eine aus!«
»Such eine was aus?«
Sie gibt einen entnervten Laut von sich. »Eine Kandidatin für die
Weitere Kostenlose Bücher